12.06.2025

AfD-Antrag im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle gegen Vorschriften der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnungen vom 26. Januar 2021 und vom 12. Februar 2021 teilweise erfolgreich

Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2025 heute entschieden, dass die im Frühjahr 2021 angeordneten Maßnahmen der ...

Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2025 heute entschieden, dass die im Frühjahr 2021 angeordneten Maßnahmen der Staatsregierung zum Schutz der Bevölkerung vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 und 
COVID-19 mit Ausnahme der Ausgestaltung der Teilnehmerbegrenzung bei Eheschließungen und Beerdigungen sowie der nächtlichen Ausgangssperre mit der Sächsischen Verfassung vereinbar waren. 


Durch die mit Normenkontrollantrag von 38 Abgeordneten der Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) des 7. Sächsischen Landtages (Antragsteller) zur Prüfung gestellten Verordnungen des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 (Sächsische Corona-Schutz-Verordnung – SächsCoronaSchVO) vom 26. Januar 2021 (SächsGVBl. S. 162) und vom 12. Februar 2021 (SächsGVBl. S. 213) wurden aufgrund bundesgesetzlicher Ermächtigung u.a. Kontaktbeschränkungen, Ausgangsbeschränkungen, eine nächtliche Ausgangssperre, Alkoholverbot in der Öffentlichkeit, die Schließung verschiedener Einrichtungen wie Gaststätten und körpernahe Dienstleistungen angeordnet sowie der Teilnehmerkreis von Versammlungen, Eheschließungen und Trauerfeiern beschränkt.
Die Antragssteller vertreten die Auffassung, dass bereits die dem Bundesrecht entstammende Ermächtigungsgrundlage zum Verordnungserlass (§ 28a Infektionsschutzgesetz - IfSG) verfassungswidrig sei. Zudem sei wegen der Schwere der Grundrechtseingriffe eine Regelung durch ein Landesgesetz und nicht durch eine Rechtsverordnung erforderlich. Die in den Verordnungen angeordneten Maßnahmen seien wegen der Schwere der Eingriffe unverhältnismäßig. Der Verordnungsgeber habe zudem seinen Beurteilungsspielraum überschritten.

Der Entscheidung liegen folgende Erwägungen zu Grunde:
 

I.
Der Antrag war nur teilweise zulässig.
Eine inhaltliche Prüfung findet nur im Hinblick auf die Regelungen zu Kontaktbeschränkungen, zur Begrenzung der Teilnehmerzahl bei Eheschließungen, Beerdigungen und Versammlungen, zur Ausgangssperre und bezogen auf die damit einhergehenden Ordnungswidrigkeiten statt. Im Übrigen genügt der Antrag den Begründungsanforderungen nicht.
Es ist rechtlich unerheblich, dass die angegriffenen Sächsischen Corona-Schutz-Verordnungen zwischenzeitlich außer Kraft traten. Ein objektives Klarstellungsinteresse besteht, solange die angegriffenen Normen noch Rechtswirkungen entfalten und damit den Schutzzweck des abstrakten Normenkontrollverfahrens auslösen können. Aus dem objektiven Charakter des Normenkontrollverfahrens folgt zudem ein Entscheidungsinteresse über den Zeitraum der rechtlichen Wirkung der angegriffenen Verordnung hinaus. 
 

II.
Die bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage des § 28a IfSG war nicht offenkundig grundgesetzwidrig, insbesondere widersprach sie nicht offenkundig dem Parlamentsvorbehalt, dem Bestimmtheitsgebot und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 
Aufgrund des dynamischen Pandemieverlaufs ist es gerechtfertigt, dem Verordnungsgeber einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu übertragen und ihn zu tief einschneidenden Grundrechtseingriffen zu ermächtigen. Zum damaligen Zeitpunkt war nicht klar, welchen Verlauf die Pandemie bei bestimmten Personengruppen haben wird. Impfstoffe standen nicht zur Verfügung. Es war daher zur Vermeidung von Schutzlücken erforderlich, eine flexible und zeitnahe Anpassung von Maßnahmen an die Änderung der Infektionslage zu ermöglichen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ausdrücklich in § 28a Abs. 6 IfSG verankert, zudem enthält Absatz 2 eine Abwägungsverpflichtung und Absatz 5 eine zeitliche Befristung. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht zu der die Vorlagepflicht aus Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes auslösenden Überzeugung gelangt, dass die Verordnungsermächtigung selbst Grundrechte verletzt.
 

III.
Die Beschränkungen zwischenmenschlicher Kontakte im öffentlichen Raum, in privat genutzten Räumen und auf privat genutzten Grundstücken griffen zwar tief in das Grundrecht auf Ehe und Familie (Art. 22 SächsVerf) sowie in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 15 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 SächsVerf) ein, das für Kinder und Jugendliche durch Art. 9 Abs. 1 und 2 SächsVerf nochmals besonders geschützt ist. Sie waren auf Grundlage der zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses verfügbaren Erkenntnisse geeignet, erforderlich und angemessen und daher noch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. 
Es wurde versucht, eine Vielzahl von Möglichkeiten zu schaffen, familiäre Kontakte aufrechtzuerhalten. Der Verordnungsgeber durfte aus verfassungsrechtlicher Sicht davon ausgehen, dass die verfolgten Gemeinwohlziele von hoher Bedeutung waren und dies durch umfassende und effektiv an allen maßgeblichen Kontaktorten geltende Kontaktbeschränkungen zu erreichen war. Er hat für den maßgeblichen Zeitraum einen noch verfassungsgemäßen Ausgleich zwischen den mit den Kontaktbeschränkungen verfolgten besonderen Gemeinwohlbelangen und dem intensiven Eingriff in das Grundrecht aus Art. 22 Abs. 1 SächsVerf vorgenommen. Gleichwohl wird mit den nunmehr gewonnenen Erkenntnissen bei einer etwaigen zukünftigen Regelung in die Abwägung einzustellen sein, inwieweit dem aus Art. 22 SächsVerf erwachsenden eigenen Recht der Kinder und Jugendlichen auf persönlichen Umgang mit Familienmitgliedern auch außerhalb des eigenen Hausstandes besser Geltung verschafft werden kann.
 

IV.
Der durch die Regelung zur Teilnehmerbegrenzung bei Eheschließungen und Beerdigungen bewirkte Eingriff in das Grundrecht aus Art. 22 SächsVerf war verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. 
Unter Abwägung der Schwere des Eingriffs einerseits und dem Gewicht der den Eingriff rechtfertigenden Gründe andererseits standen die Maßnahmen außer Verhältnis zum verfolgten Zweck. Die Norm machte konkrete Vorgaben zur Teilnehmerzahl und zur Zusammensetzung des Teilnehmerkreises, ohne diese an die Inzidenz anzuknüpfen und ohne zwischen den verschiedenen Anlässen der Eheschließung und Beerdigung zu differenzieren. Durch die Kombination aus einer starren Teilnehmergrenze für beide Arten von Zusammenkünften unabhängig von der lokalen Inzidenz und unter zusätzlicher Bestimmung der konkreten Zusammensetzung des Teilnehmerkreises, im Fall der Beerdigung auch unter Mitberücksichtigung des für die Durchführung benötigten Personals, fehlt es an einem Ausgleich zwischen dem Schutz von Leben und Gesundheit und der besonderen Bedeutung von Eheschließungen und Beerdigungen für das familiäre Miteinander als Ausprägung des Grundrechts auf Ehe und Familie. Dies konnte bei einer Beerdigung im Einzelfall dazu führen, dass neben vier Sargträgern und dem Geistlichen oder dem Trauerredner lediglich fünf Angehörige des engsten Familienkreises an einer Bestattung teilnehmen konnten. Je nach persönlicher Situation bedeutete dies mitunter, dass nur ein kleiner Teil des engsten Familienkreises teilnehmen durfte, auch wenn diese demselben Hausstand angehörten. Die individuelle Verabschiedung von einem verstorbenen Familienmitglied ist dann nach vollzogener Bestattung den nicht an der Teilnahme berechtigten Personen unwiederbringlich verwehrt.
 

V.
Die angeordnete Ausgangsbeschränkung war als Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf mit den geregelten Ausnahmen noch verfassungsgemäß.
Der Verordnungsgeber durfte den zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Erkenntnisstand der Wissenschaft zugrunde legen, wonach eine Übertragung des SARS-CoV-2-Virus vorrangig über Aerosole bei engem zwischenmenschlichen Kontakt stattfindet. Ausgehend davon diente die Ausgangsbeschränkung dem legitimen Zweck, Übertragungsbegegnungen im öffentlichen Raum grundsätzlich zu unterbinden und somit einen Beitrag zur Reduzierung der Zahl von Neuinfektionen zu leisten und damit dem Fernziel, eine Überforderung des Gesundheitssystems und damit letztlich Schädigungen von Leib und Leben vieler Menschen durch Erkrankungen mit COVID-19 zu vermeiden.
Die Ausnahmen zur der allgemein geltenden Ausgangsbeschränkung sind verfassungskonform so auszulegen, dass neben dem Aufenthalt im Freien zum Zweck der sportlichen Betätigung oder zum Aufsuchen des eigenen Gartens oder Grundstücks auch das bloße Verweilen im Freien unter Wahrung der Kontaktbeschränkungen zulässig sein musste. Es verstößt gegen das Übermaßverbot, ein solches Verbot auch auf den Ausgang für ein Verweilen im Freien ohne Kontakt zu hausstandsfremden Personen zu erstrecken. 
 

VI.
Die nächtliche Ausgangssperre war verfassungswidrig. Der durch die Vorschrift zur nächtlichen erweiterten Ausgangsbeschränkung bewirkte Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit aus Art. 16 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf war verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. 
Ausgangsbeschränkungen sind nur zulässig, soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Erkrankung COVID-19 erheblich gefährdet wäre, d.h. wenn ein Unterlassen der Maßnahme zu einer wesentlichen Verschlechterung des Infektionsgeschehens geführt hätte. Hierfür bietet die zugrunde zu legende Gefahrenprognose keine ausreichende Grundlage. Für die Annahme, dass nächtlichen Treffen „in den späten Nachtstunden bis weit hinein in den frühen Morgen in geselliger Runde im öffentlichen Raum“ stattfanden und hierbei auch „oft“ nicht die allgemein vorgeschriebenen oder empfohlenen Infektionsschutzvorkehrungen, insbesondere nicht die Personenzahlbeschränkungen, eingehalten wurden, fehlt es an Belegen, in welcher Häufigkeit solche Szenarien zu erwarten gewesen und welche konkreten Erfahrungen hierzu bereits vorhanden waren. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass zum Zeitpunkt der Geltungsdauer der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 26. Januar 2021 jahreszeitbedingt eher weniger damit zu rechnen gewesen sein durfte, dass der Großteil der Bevölkerung sich nachts in großen Gruppen umherziehend verhielt. Überdies unterstellte der Verordnungsgeber damit ebenfalls, dass die Bevölkerung sich grundsätzlich den bereits bestehenden Verboten widersetzte, ohne hierbei aufzuzeigen, warum bei Wahrunterstellung dieser Annahme zusätzliche, eingriffsintensivere Maßnahmen befolgt werden würden.
 

VII.
Die Begrenzung der Teilnehmerzahl von Versammlungen unter freiem Himmel auf maximal zehn Personen bei einer über fünf Tage andauernden Überschreitung des Sieben-Tage-Inzidenzwertes von 300 verstieß unter Berücksichtigung der Möglichkeit der Erteilung von Ausnahmen nicht gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.
Die Prognose des Verordnungsgebers, bei diesem Inzidenzwert seien keine anderen Schutzmaßnahmen gleich effektiv, aber weniger eingriffsintensiv als eine weitere Begrenzung der Teilnehmerzahl von Versammlungen auf zehn, beruhte auf tragfähigen Annahmen und war plausibel. Der Verordnungsgeber durfte auch davon ausgehen, dass die Regelungen zum Abstandsgebot und zum Tragen einer Mund-Nasenbedeckung das Ziel der weiteren Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 und der Krankheit COVID-19 zu verlangsamen, nicht ebenso wirksam erreicht hätten wie die Begrenzung der Teilnehmerzahl. Insbesondere durfte der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass vor allem die Einhaltung von Abstandsgeboten mit zunehmender Teilnehmerzahl erschwert bis unmöglich war. Das Risiko einer Infektion bestand nach der maßgeblichen Beurteilung aus früherer Sicht auch bei Versammlungen unter freiem Himmel und bei einer begrenzten Teilnehmerzahl unter besonderer Berücksichtigung eines dynamischen Geschehens auch bei einer ortsfesten Versammlung durch An- und Abreise. Angesichts der noch nicht flächendeckend verfügbaren Impfungen und des Auftretens der neuen Virusmutationen hat der Verordnungsgeber seinen Einschätzungsspielraum nicht überschritten, indem er Verhaltensregeln nicht als gleich wirksame Maßnahmen erachtete. Der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit hat der Verordnungsgeber dadurch Rechnung getragen, dass er die Möglichkeit der Ausnahmen regelte. Insoweit unterschied sich die Regelung auch von der Teilnehmerbegrenzung bei Eheschließungen und Beerdigungen, die weder eine Anknüpfung an die lokale Inzidenz noch eine Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vorsah.
 

VIII.
Soweit die entsprechenden Bußgeldbestimmungen angegriffen wurden, teilen diese das Schicksal der geprüften zugrundeliegenden Bestimmungen.


Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Vf. 13-II-21 (HS)

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