03.11.2011

Zur Rechtmäßigkeit von Ordnungsrufen gegen Abgeordnete der NPD-Fraktion

© 

In drei Organstreitverfahren entschied der Verfassungsgerichtshof jeweils mit Urteil vom heutigen Tag über die Rechtsmäßigkeit der gegen die jeweiligen Antragsteller ausgesprochenen Ordnungsrufe.

In drei Organstreitverfahren entschied der Verfassungsgerichtshof jeweils mit Urteil vom heutigen Tag über die Rechtsmäßigkeit der gegen die jeweiligen Antragsteller ausgesprochenen Ordnungsrufe.
 
In Verfahren der Landtagsabgeordneten Holger Apfel und Jürgen Gansel stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass der Präsident des Sächsischen Landtags die Antragsteller durch die Erteilung von Ordnungsrufen in der Sitzung des Sächsischen Landtags am 17. Dezember 2010 in ihrem Rederecht aus Art. 39 Abs. 3 SächsVerf verletzte. Ein weiterer Antrag des Landtagsabgeordneten Holger Apfel gegen einen weiteren in dieser  Landtagssitzung ergangenen Ordnungsruf hatte keinen Erfolg.
 
Zur Begründung führte der Verfassungsgerichtshof aus:
 
Das in Art. 39 Abs. 3 SächsVerf verfassungsrechtlich garantierte Rederecht des Abgeordneten bedürfe der Abstimmung mit den Rechten anderer Abgeordneter, der Funktionsfähigkeit des Parlaments und etwaigen Rechten Dritter. Diesem Zweck diene das Instrumentarium der sich aus der Geschäftsordnung des Landtags ergebenden Ordnungsmaßnahmen.
Soweit die Ordnungsmaßnahmen Verstößen gegen die Geschäftsordnung entgegen wirken sollten, werde damit auf die Form der Äußerung und nicht auf deren Inhalt reagiert. Würden Ordnungsmaßnahmen hingegen zum Schutze des Ansehens des Parlaments oder von Rechten Dritter eingesetzt, reagiere das Ordnungsrecht in der Regel auf den Inhalt eines Redebeitrags. Ordnungsinstrumente dürften aber nicht dazu dienen, bestimmte inhaltliche Positionen aus der parlamentarischen Debatte auszuschließen. Je mehr die inhaltliche Auseinandersetzung im Vordergrund stünde, je gewichtiger die mit dem Redebeitrag thematisierten Fragen für das Parlament und die Öffentlichkeit seien, desto eher müssten konkurrierende Rechtsgüter hinter dem Rederecht des Abgeordneten zurückstehen.
An diesen Grundsätzen gemessen, hatte der Antrag des Landtagsabgeordneten Apfel Erfolg, mit dem er sich gegen den auf seine Äußerung „Asylschmarotzer“ ergangenen Ordnungsruf wendet (Vf. 30-I-11). In einem Redebeitrag zu Volksentscheiden benannte der Antragsteller unter Verwendung der geahndeten Äußerung Themen, über die seiner Ansicht nach durch Volksentscheid abzustimmen sei. Der Verfassungsgerichtshof führte hierzu aus, der Antragsteller habe mit der polemischen Äußerung „Schmarotzer“ auf eine seit längerem geführte öffentliche Debatte Bezug genommen. Eine Beeinträchtigung konkurrierender Verfassungsgüter von erheblichem Gewicht, die einen Ordnungsruf gerechtfertigt hätte, sei in diesem Fall nicht erkennbar.

Auch der durch den Landtagsabgeordneten Gansel gestellte Antrag war begründet (Vf. 31-I-11). Er hatte in der Plenarsitzung auf Ausführungen eines Redners dazu, dass das Parlament dem Verfassungsvertrag von Europa zugestimmt habe, obwohl die Bürger ausweislich von Meinungsumfragen diesen Vertrag mehrheitlich ablehnten, mit dem Zwischenruf „Volksverräter“ reagiert. Dieser Zwischenruf sei in diesem Zusammenhang als eine pointiert formulierte politische Stellungnahme zu deuten, die überwiegende Rechte Dritter nicht verletzte.
 
Der weitere Antrag des Abgeordneten Apfel wurde zurückgewiesen (Vf. 35-I-11). Er hatte in der Landtagssitzung auf eine Äußerung des die Verhandlung leitenden 2. Vizepräsidenten rhetorisch die Neutralität des Präsidenten hinterfragt. Dies wurde durch den amtierenden Präsidenten zurecht als Verletzung der parlamentarischen Ordnung angesehen. Kritik an der Amtsführung des Parlamentspräsidenten, die im Plenum geäußert werde, sei geeignet dessen Autorität zu beeinträchtigen. Diese sei aber unverzichtbare Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Parlament. Eine Diskussion über die Amtsführung des Präsidenten sei im Ältestenrat bzw. Präsidium zu führen.
 

zurück zum Seitenanfang