11.12.2008

Verfassungsgerichtshof verwirft Abgeordnetenanklage als unzulässig

Mit Beschluss vom heutigen Tage verwarf der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen den Antrag des Sächsischen Landtages, dem Abgeordneten Dr. Volker Külow das Mandat abzuerkennen,...

Mit Beschluss vom heutigen Tage verwarf der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen den Antrag des Sächsischen Landtages, dem Abgeordneten Dr. Volker Külow das Mandat abzuerkennen, als unzulässig.

In seiner Sitzung vom 13. Dezember 2007 hatte der 4. Sächsische Landtag beschlossen, gegen sein Mitglied Dr. Volker Külow Abgeordnetenanklage zu erheben, da dieser für das frühere Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) tätig gewesen sei (Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf). Er habe als inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS zusammengearbeitet und Berichte zu konkreten Verhältnissen natürlicher Personen abgeliefert. Die fortdauernde Innehabung seines Landtagsmandat erscheine untragbar.
 
Der Antrag des Landtages hatte keinen Erfolg. Der Verfassungsgerichtshof gelangte zu dem Ergebnis, dass der Beschlussfassung im Landtag keine wirksame Abstimmung über die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Abgeordnetenanklage zu Grunde lag. Ferner habe der Landtagsbeschluss den Gegenstand der Anklage nicht ausreichend bestimmt, so dass diese nicht in zulässiger Weise bei dem Verfassungsgerichtshof erhoben worden sei.

Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf verfolge den Zweck, das Vertrauen der Bevölkerung in die Tätigkeit des Staates zu stärken und deshalb Voraussetzungen für den Ausschluss derjenigen vom Mandat zu schaffen, die wegen ihrer MfS-Verstrickung als Abgeordnete untragbar erschienen. Die Vorschrift begründe ein Initiativrecht des Landtages; dessen Aufgabe sei es zu entscheiden, welche Umstände im Einzelfall das Bedürfnis für ein Anklageverfahren begründeten. Dies setze voraus, dass die Abgeordneten vor der Beschlussfassung vollständig über die anzuklagenden Sachverhalte unterrichtet seien. Nur wenn alle entscheidungsrelevanten Tatsachen mitgeteilt worden seien, sei jedem Abgeordneten eine sachgerechte Entscheidung darüber möglich, ob näher bestimmte Verhaltensweisen des Angeklagten den Tatbestand des Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf erfüllten und hieran die Einschätzung anknüpfen könne, die weitere Innehabung des Mandats sei untragbar.

Vorliegend könne nicht angenommen werden, dass den Abgeordneten eine sachgerechte Beurteilung des Maßes der MfS-Verstrickung des Angeklagten sowie eine hieran anknüpfende Einschätzung zur Mandatsunwürdigkeit möglich gewesen sei. Die zur Beurteilung der MfS-Tätigkeit des Angeklagten relevanten Sachverhaltselemente seien im Plenum nicht oder nur unzureichend bekannt gegeben worden. Es fehlten Darlegungen zur Art, Dauer und Intensität der dem Angeklagten vorgeworfenen Tätigkeit. Weder in der vorangegangenen Debatte noch in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten seien die dem Angeklagten zur Last gelegten Handlungen näher beschrieben worden. Die bloße Bezugnahme auf die Unterlagen der Bundesbeauftragten gewährleiste nicht, dass die Abgeordneten von den darin dokumentierten Sachverhalten Kenntnis nehmen konnten, so dass diese Vorgänge auch nicht Grundlage der Abstimmung im Landtag gewesen seien. Die Mitteilung einzelner Handlungen des Angeklagten durch den Vorsitzenden des Bewertungsausschusses betreffe nur einige in der Mitteilung der Bundesbeauftragten dokumentierte Vorgänge und lasse weder Begehungsweisen noch Auswirkungen für die Betroffenen erkennen. Diese lediglich ausschnittsweise Schilderung mache den Abgeordneten eine verantwortliche Einschätzung des Maßes der MfS-Verstrickung nicht möglich.
 
Darüber hinaus bestimme der Beschluss des Landtages vom 13. Dezember 2007 den Gegenstand der Anklage nicht hinreichend; der Antrag sei auch wegen fehlender Bezeichnung und Umgrenzung der vorgeworfenen Handlungen unzulässig. Die Bezugnahme auf die in den Unterlagen der Bundesbeauftragten dokumentierten Sachverhalte reiche nicht aus, um diese zum Anklagegegenstand zu machen. Anderenfalls käme dem Verfassungsgerichtshof unter Durchbrechung des maßgebenden Antragsprinzips die Aufgabe zu, die zu prüfenden Sachverhalte selbst auszuwählen.

SächsVerfGH, Beschluss vom 11. Dezember 2008 – Vf. 151-IX-07

Artikel 118 SächsVerf:
(1) Erhebt sich der dringende Verdacht, dass ein Mitglied des Landtages oder der Staatsregierung vor seiner Wahl oder Berufung
1. (...)
2. für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit der DDR tätig war,
und erscheint deshalb die fortdauernde Innehabung von Mandat oder Mitgliedschaft in der Staatsregierung als untragbar, kann der Landtag beim Verfassungsgerichtshof ein Verfahren mit dem Ziel der Aberkennung von Mandat oder Amt beantragen.
(2) Der Antrag auf Erhebung der Anklage muss von mindestens einem Drittel der Mitglieder des Landtages gestellt werden. Der Beschluss auf Erhebung der Anklage erfordert bei Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages eine Zweidrittelmehrheit, die jedoch mehr als die Hälfte der Mitglieder betragen muss.
(...)

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