31.01.2009

Verfassungsgerichtshof stellt Verletzung von Minderheitenrechten durch den 2. Untersuchungsausschuss fest

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Mit Urteil vom heutigen Tage hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen auf den Antrag von fünf Mitgliedern des 2. Untersuchungsausschusses festgestellt, dass dieser die Antragsteller...

Mit Urteil vom heutigen Tage hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen auf den Antrag von fünf Mitgliedern des 2. Untersuchungsausschusses festgestellt, dass dieser die Antragsteller durch die mangelnde Umsetzung eines im Ausschuss gefassten Beweisbeschlusses in ihren Minderheitenrechten verletzt hat.

Mit Landtagsbeschluss vom 19. Juli 2007 wurde der 2. Untersuchungsausschuss eingesetzt, um die Verantwortung der Staatsregierung für mögliche Mängel bei der Aufdeckung und Verfolgung krimineller und korruptiver Netzwerke zu klären. Am 11. Oktober 2007 beschloss der Untersuchungsausschuss zum Beweis eines etwaigen organisierten Zusammenwirkens von Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Justiz- und sonstigen Behörden die Vernehmung von sechs Zeugen, hierunter drei Rechtanwälten. In der Folgezeit beantragten einzelne Ausschussmitglieder wiederholt, die beschlossene Beweiserhebung auf die Tagesordnung zu setzen. Diese Anträge wurden von der Ausschussmehrheit jeweils abgelehnt. Den Antrag von fünf Mitgliedern, zwei der Zeugen zur Sitzung im Mai 2008 zu laden, lehnte die Mehrheit am 17. April 2008 ebenfalls ab. Hierauf begehrten die Antragsteller, die alle Mitlieder des 2. Untersuchungsausschusses sind, vor dem Verfassungsgerichtshof die Feststellung, dass der Ausschuss sie dadurch in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet habe, dass er die Durchführung von Beweisen auf der Grundlage des gefassten Beschlusses abgelehnt habe.
 
Der zulässige Antrag hatte auch in der Sache Erfolg. Der Verfassungsgerichtshof stellte fest, dass die Ablehnung der Beweisdurchführung die Antragsteller in ihren verfassungsmäßigen Rechten aus Art. 54 Abs. 3 SächsVerf verletzt hat. Aus Art. 54 Abs. 3 SächsVerf folge die Verpflichtung des Untersuchungsausschusses, den auf einem Minderheitenantrag beruhenden Beweisbeschluss zu vollziehen. Allein dadurch lasse sich eine effektive Verwirklichung des Untersuchungsauftrages und damit der parlamentarischen Kontrolle sicherstellen. Zwar liege die Verfahrensherrschaft im Untersuchungsausschuss und damit insbesondere die Entscheidung über die Reihenfolge der Beweiserhebung und die Zweckmäßigkeit von Terminierungen grundsätzlich in der Hand der Ausschussmehrheit. Die Verwirklichung des mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verfolgten Aufklärungszieles dürfe durch die Gestaltung des Verfahrens aber nicht in Gefahr geraten. Die gestalterischen Befugnisse der Ausschussmehrheit stießen dort an verfassungsrechtliche Grenzen, wo die Minderheit befürchten dürfe, dass durch das Vorgehen der Mehrheit Erschwernisse für weitere Tatsachenfeststellungen einträten. Eine solche Befürchtung sei insbesondere dann gerechtfertigt, wenn eine durch die Ausschussmehrheit verursachte Untätigkeit des Untersuchungsausschusses die ansonsten mögliche Erfüllung des Untersuchungsauftrages zu vereiteln drohe.

Vorliegend hätten die Antragsteller angesichts des Zeitablaufs und des Umfangs des Untersuchungsthemas im Zeitpunkt des angegriffenen Beschlusses befürchten dürfen, dass Erschwernisse für die von ihnen begehrte Tatsachenfeststellung einträten. Zwar sei aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts dagegen einzuwenden, bei der Aufklärung eines Fragenkreises zunächst mit Beweismitteln zu beginnen, die aus dem unmittelbaren Verantwortungsbereich jener staatlichen Behörden stammten, deren Verhalten den Untersuchungsgegenstand bildete. Dieser Ansatz beanspruche aber keine uneingeschränkte Geltung. Insbesondere wenn es zu Verzögerungen bei der Vorlage dieser Beweismittel komme und die hierdurch freibleibenden Untersuchungskapazitäten nicht anderweitig genutzt würden, könne es zu einem Zeitverlust kommen, der bis zum Ende der Ausschusstätigkeit nicht mehr zu kompensieren sei. Daher komme ab einem gewissen Zeitpunkt dem Interesse der Minderheit an der Umsetzung ihres Beweisantrages der Vorrang gegenüber dem Interesse der Mehrheit an der Einhaltung einer bestimmten Reihenfolge der Beweiserhebung zu. Dieser Zeitpunkt sei bei Ergehen des angegriffenen Beschlusses am 17. April 2008 erreicht gewesen.

SächsVerfGH, Urteil vom 30. Januar 2009 – Vf. 99-I-08

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