27.10.2016

Pressemitteilung

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Ablehnung eines Anhörungsantrags der Fraktion DIE LINKE im Gesetzgebungsverfahren zum Haushaltsbegleitgesetz 2015/2016 war verfassungswidrig

Ablehnung eines Anhörungsantrags der Fraktion DIE LINKE im Gesetzgebungsverfahren zum Haushaltsbegleitgesetz 2015/2016 war verfassungswidrig

Der Haushalts- und Finanzausschuss des 6. Sächsischen Landtages hat die Fraktion DIE LINKE in ihrem Recht auf Chancengleichheit aus Art. 39 Abs. 3 SächsVerf verletzt, indem er in seiner 10. Sitzung am 15. April 2015 den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Durchführung einer öffentlichen Anhörung von Sachverständigen zu einem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen zum Haushaltsbegleitgesetz 2015/2016 ablehnte. Das hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen mit Urteil vom 27. Oktober 2016 entschieden.

  1. Im Gesetzgebungsverfahren zum Haushaltsbegleitgesetz 2015/2016 hatten die Regierungsfraktionen einen Änderungsantrag eingebracht, nachdem der ursprüngliche Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes bereits am 2. März 2016 Gegenstand einer öffentlichen Anhörung von Sachverständigen im Haushalts- und Finanzausschuss war. Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen enthielt Regelungsmaterien, die zuvor im Gesetzentwurf nicht enthalten waren, etwa eine Änderung der Sächsischen Gemeindeordnung beim Verfahren zur Bestellung der Beigeordneten. Diese Änderungen waren in der vorherigen öffentlichen Anhörung zum Haushaltsbegleitgesetz ausdrücklich vom Geschäftsführer des Sächsischen Städte- und Gemeindetages vorgeschlagen worden. Unter Verweis hierauf lehnte der Antragsgegner den Anhörungsantrag der Antragstellerin mehrheitlich ab. Eine „Anhörung zur Anhörung“ sei in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen. Die Fraktion DIE LINKE verwies darauf, dass die neu hinzugekommenen Änderungsvorschläge keinen Bezug zum bisherigen Gesetzentwurf aufwiesen.
  2. Der Verfassungsgerichtshof stellte in seinem Urteil eine Verletzung von Art. 39 Abs. 3 SächsVerf fest. Dieser beinhaltet das Recht der Fraktionen auf chancengleiche Teilhabe an der Wahrnehmung parlamentarischer Funktionen und ist als Maßstab überall dort zu beachten, wo den Fraktionen durch Verfassung, Gesetz oder Geschäftsordnung eigene Rechte eingeräumt werden. Deren Durchsetzung darf nicht davon abhängen, ob sich die Fraktion in der Mehr- oder Minderheit befindet. Das Recht auf Gleichbehandlung der Fraktionen ist dabei von fundamentaler Bedeutung und darf nicht eng ausgelegt werden. Dies hat der Haushalts- und Finanzausschuss bei seiner Mehrheitsentscheidung missachtet.

    Gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 der Geschäftsordnung des Sächsischen Landtags ist der federführende Ausschuss verpflichtet, auf Verlangen einer Fraktion eine Anhörung zu einer Gesetzesvorlage durchzuführen. Das hieraus folgende Anhörungsrecht der Fraktion ist vorliegend nicht durch die zuvor erfolgte Anhörung verbraucht worden. Insoweit kommt es nicht allein darauf an, ob zu einem Gesetzentwurf bereits eine Anhörung stattgefunden hat und was die Sachverständigen dort ausgeführt haben. Entscheidend ist vielmehr, ob sich der neu hinzugekommene Änderungsantrag noch auf den Inhalt des ursprünglichen Gesetzentwurfs bezieht oder jedenfalls an Fragen anknüpft, die mit diesem unmittelbar im Zusammenhang stehen. Nur in diesem Fall könnte eine erneute Anhörung nicht verlangt werden.

    Ein solcher Zusammenhang lag hier nicht vor. Da mit der von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen Änderung der Sächsischen Gemeindeordnung ein neuer Beratungsgegenstand eingeführt wurde, war das Anhörungsrecht der Antragstellerin insoweit nicht verbraucht. Damit bestand zu Gunsten der Fraktion DIE LINKE ein von der konkreten Mehrheit in Parlament und Ausschuss unabhängiges Anhörungsrecht, das als Konkretisierung ihrer verfassungsrechtlichen Stellung aus Art. 39 Abs. 3 SächsVerf anzusehen ist. Dies hat der Haushalts- und Finanzausschuss bei seiner Entscheidung übersehen.
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