25.01.2024

Gesetz zur Neustrukturierung des Polizeirechtes des Freistaates Sachsen teilweise verfassungswidrig

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Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat durch Urteil am 25. Januar 2024 entschieden, dass verschiedene Vorschriften des seit dem 1. Januar 2020 geltenden Gesetzes zur ...

Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat durch Urteil am 25. Januar 2024 entschieden, dass verschiedene Vorschriften des seit dem 1. Januar 2020 geltenden Gesetzes zur Neustrukturierung des Polizeirechtes des Freistaates Sachsen vom 11. Mai 2019 (SächsGVBl. S. 358) mit der Verfassung des Freistaates Sachsen nicht vereinbar sind. Der Normenkontrollantrag von 35 Mitgliedern des 6. Sächsischen Landtages, die den damaligen Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angehörten, hat teilweise Erfolg.

      
Der Verfassungsgerichtshof hat die beanstandeten Normen nicht für nichtig, sondern für mit der Verfassung des Freistaates Sachsen unvereinbar erklärt. Diese gelten damit – befristet bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber mit bestimmten Maßgaben des Verfassungsgerichtshofes – fort. Die in diesen Vorschriften eingeräumten Befugnisse verstoßen in ihrem Kerngehalt nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben, nur deren konkrete Ausgestaltung bedarf in Teilen einer Nachbesserung. Hierfür wurde dem Sächsischen Landtag eine Frist bis zum 30. Juni 2026 gesetzt. 


Wesentliche Erwägungen der Entscheidung:

A. 
§ 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3, § 64 Abs. 1, 5, § 66 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3, § 67 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 68 Abs. 1, § 74 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 des Gesetzes über die Aufgaben, Befugnisse, Datenverarbeitung und Organisation des Polizeivollzugsdienstes im Freistaat Sachsen (Sächsisches Polizeivollzugsdienstgesetz – SächsPVDG) sind nur teilweise mit der Verfassung des Freistaates Sachsen (SächsVerf) vereinbar. 
Bei den Maßnahmen nach §§ 63, 64, 66 bis 68 SächsPVDG handelt es sich um verdeckte Überwachungs- und Ermittlungsbefugnisse, die zum Teil in den Schutzbereich des Art. 33 (Datenschutz) und zum Teil in den des Art. 27 Abs. 1 (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) SächsVerf eingreifen. 

a)    § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SächsPVDG (Längerfristige Observation und Einsatz technischer Mittel):
Die möglichen Überwachungsmaßnahmen sind vielgestaltig und können tief in das Grundrecht des Art. 33 SächsVerf eingreifen. Die Bandbreite reicht von Eingriffen mit geringem Gewicht, wie einer zeitlich kurz befristeten Beobachtung oder Anfertigung von Bildaufnahmen, bis zu schweren Eingriffen, etwa der dauerhaften Aufzeichnung des außerhalb der Wohnung nichtöffentlich gesprochenen Wortes. Sie können besonders tief in die Privatsphäre eindringen, wenn sie gebündelt eingesetzt werden.

b)    § 64 Abs. 1 SächsPVDG (Einsatz verdeckter Ermittler und V-Personen): Der Staat nutzt das persönliche Vertrauensverhältnis aus, um Informationen zu gewinnen.  Die Schwere des Eingriffs hängt von der Ausgestaltung und Dauer der Maßnahme ab. Je intensiver die Vertrauensbeziehung desto schwerer wiegt der Eingriff.

c)    § 66 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 SächsPVDG (Überwachung der Telekommunikation): Neben der Kommunikation des Betroffenen und Dritten können auch die noch innerhalb des Telekommunikationsdienstes in Datenspeichern abgelegten Inhalte, wie z.B. die auf einem Mailserver des Providers zwischen- und endgespeicherten E-Mails, sichergestellt und gespeichert werden. Es liegt ein tiefer Eingriff in den Schutzbereich des Art. 27 SächsVerf vor. 

d)    § 68 Abs. 1 SächsPVDG (Identifizierung und Lokalisierung von Telekommunikationsendgeräten) verletzt den Schutzbereich des Art. 33 SächsVerf: Die Norm erlaubt die Ermittlung der Gerätenummer eines Mobilfunkendgeräts oder der Kartennummer einer SIM-Karte sowie die Feststellung des Standorts eines Mobilfunkendgeräts ohne Vorgaben zur Häufigkeit der Standortermittlung festzulegen, sodass Bewegungsprofile erstellt werden können. 

e)    § 74 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SächsPVDG greift in den Schutzbereich des Art. 38 SächsVerf (Rechtsweggarantie) ein, soweit die Benachrichtigung eines Beteiligten über eine Maßnahme nach § 64 Abs. 1 SächsPVDG zurückgestellt wird. § 74 SächsPVDG normiert die grundsätzliche Verpflichtung, von heimlichen polizeilichen Maßnahmen Betroffene im Nachgang zu informieren. So wird sichergestellt, dass eine nachträgliche gerichtliche Prüfung ermöglicht wird. 

Zur Festlegung der Voraussetzungen der Anordnung dieser Maßnahmen verweist der Gesetzgeber auf Straftaten, deren Verwirklichung abgewendet werden soll. Entscheidet sich der Gesetzgeber im Bereich der Gefahrenabwehr für eine solche Verweisungstechnik, muss sichergestellt sein, dass nicht auf Straftaten verwiesen wird, die Situationen erfassen, in denen die Strafbarkeitsschwelle ins Vorfeld von Gefahren verlagert wird. Dies gilt für Delikte, die Vorbereitungshandlungen und bloße Rechtsgutsgefährdungen unter Strafe stellen. Diese Straftatbestände erfassen Verhaltensweisen, die einer konkreten Rechtsgutsverletzung typischerweise weit vorgelagert sind. Wird die Polizei ermächtigt, diese Straftaten abzuwehren, darf sie intensive Grundrechtseingriffe vornehmen, obgleich die Gefährdung eines entsprechenden Rechtsguts im Einzelfall nicht hinreichend konkret absehbar ist. Knüpft der Gesetzgeber an die Begehung solcher Straftaten an, muss er also zusätzlich fordern, dass damit bereits eine konkretisierte Gefahr für das durch den Straftatbestand geschützte Rechtsgut vorliegt. Diese mag sich in vielen Fällen aus der drohenden Verwirklichung der Delikte ergeben, zwingend ist dies jedoch nicht. 
Die konkretisierte Gefahr beschreibt eine tatsachenbasierte Gefahrenprognose ohne dass der zum Schadenseintritt führende Kausalverlauf – im Gegensatz zur »konkreten Gefahr« nach § 4 Nr. 3 Buchst. a SächsPVDG – schon mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist. Bei terroristischen Straftaten (§ 4 Nr. 5 SächsPVDG) muss sich aufgrund der festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergeben, dass sich die vom Betroffenen ausgehende Bedrohung jederzeit aktualisieren kann, etwa, wenn das individuelle Verhalten dieser Person die konkrete Wahrscheinlichkeit der Begehung derartiger Straftaten in überschaubarer Zukunft nahelegt. Ob eine Absenkung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes im Kausalverlauf in Form der konkretisierten Gefahr möglich ist, bestimmt sich nach der Bedeutung des geschützten Rechtsgutes bzw. nach dem Ausmaß des zu erwartenden Schadens. 

Diesen Anforderungen genügen § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3, § 64 Abs. 1, § 66 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3, § 67 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 68 Abs. 1 SächsPVDG, soweit die Vorschriften zu verdeckten Überwachungen ermächtigen, um Straftaten zu verhindern, welche die Verletzung eines bedeutenden Rechtsguts bestrafen. Die Prognoseanforderungen sind daher für die Mehrzahl der erfassten Delikte entsprechend den verfassungsrechtlichen Anforderungen ausgestaltet. Soweit aber diese Vorschriften Straftatbestände in Bezug nehmen, die Vorbereitungshandlungen und bloße Rechtsgutsgefährdungen unter Strafe stellen, verstärken sich durch die zusätzliche Absenkung der Eingriffsschwelle die Unsicherheiten bei der Erstellung der Gefahrenprognose, die dazu führen können, dass die Maßnahme bereits erfolgt, bevor eine polizeirechtliche Gefahrenlage für ein bedeutendes Rechtsgut vorliegt. Bei diesen Delikten ist die Absenkung der Eingriffsschwelle verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar. Sie verstoßen damit gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, wonach Überwachungs- und Ermittlungsbefugnisse mit Blick auf das Eingriffsgewicht angemessen ausgestaltet sein müssen. 
Durch Bezugnahme auf § 4 Nr. 4 und 5 Buchst. a und b SächsPVDG (Definition der Straftaten von erheblicher Bedeutung und terroristische Straftaten) wird beispielsweise auf die §§ 89a und 89b des Strafgesetzbuches (StGB, »Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat; Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat«) verwiesen. Die dort beschriebenen Tathandlungen sind nach ihrem äußeren Erscheinungsbild neutral (Vorbereitungshandlungen). Andere von der Verweisung erfasste Straftatbestände setzen keine konkrete Gefahr für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut voraus (beispielsweise §§ 129a, 129b StGB, »Bildung terroristischer Vereinigungen, Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland«). 

§ 74 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SächsPVDG erlaubt die Zurückstellung der Benachrichtigung Betroffener auch dann, wenn die Maßnahme nach § 64 Abs. 1 SächsPVDG nur zur Abwehr von Vorbereitungshandlungen und bloßen Rechtsgutsgefährdungen angeordnet wurde und verstößt daher ebenfalls gegen das Übermaßverbot.


B. 
Die Befugnisse in § 60 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 sowie Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 SächsPVDG (Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung und Kontrolle) sind ebenfalls wegen der Bezugnahme auf Vorbereitungshandlungen und bloße Rechtsgutgefährdungen nicht mit Art. 33 SächsVerf vereinbar. Die verwendete Regelungstechnik führt auch hier zur Verletzung des Übermaßgebotes, weil es am Erfordernis einer konkretisierten Gefahr fehlt.

Sowohl bei der polizeilichen Beobachtung als auch bei der gezielten Kontrolle werden die Daten einer Person oder eines von ihr genutzten Fahrzeugs ohne ihr Wissen im Fahndungssystem der Polizei gespeichert und die erhobenen Daten an die ausschreibende Polizeidienststelle übermittelt. Die ausschreibende Dienststelle kann polizeiliche Zufallserkenntnisse zusammenführen und dort punktuelle Bewegungsprofile erstellen. Bei der Ausschreibung zur gezielten Kontrolle ist der Polizeivollzugsdienst zusätzlich ermächtigt, beim Antreffen des Betroffenen oder des ausgeschriebenen Fahrzeugs oder Containers Durchsuchungen durchzuführen, sodass auch die dabei erlangten Erkenntnisse übermittelt und zusätzlich von der ausschreibenden Dienststelle verwendet werden können.


C. 
a) § 30 Abs. 1 Nr. 2 SächsPBG (Bildaufnahme und Bildaufzeichnung durch Polizeibehörden zum Schutz gefährdeter öffentlicher Anlagen oder Einrichtungen) genügt nicht den Anforderungen an die Bestimmtheit und Normenklarheit und ist daher nicht mit der Sächsischen Verfassung vereinbar (Art. 33 SächsVerf). 
Der Wortlaut erlaubt den Polizeibehörden (zum Begriff: § 1 SächsPBG, z.B. Gemeinden und Kreisfreie Städte) die Erhebung personenbezogener Daten in öffentlich zugänglichen Räumen durch den offenen Einsatz technischer Mittel zur Bildaufnahme und -aufzeichnung zum Schutz gefährdeter öffentlicher Anlagen oder Einrichtungen. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SächsPBG enthält keine hinreichend bestimmten und klaren Vorgaben zu Anlass, Zweck und Grenzen der Maßnahme. Weder dem Wortlaut noch der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, welche öffentliche Anlagen oder Einrichtungen erfasst werden oder wann sie als gefährdet gelten sollen. Unklar ist auch, welchen Grad bzw. welche Intensität die Gefahr annehmen muss, damit eine Überwachung gerechtfertigt sein kann. Ein innerer Zusammenhang zwischen den erwarteten Gefahren für die geschützten Objekte und einer besonderen, auf tatsächlichen Anhaltspunkten basierenden Gefährdungslage ist ebenfalls nicht erkennbar. Begrenzt wird die Datenerhebung allein durch das Gebot der Erforderlichkeit. 

b) Mit der Verfassung vereinbar ist § 30 Abs. 1 Nr. 1 SächsPBG. Er erlaubt den Polizeibehörden die Erhebung personenbezogener Daten in öffentlich zugänglichen Räumen durch den offenen Einsatz technischer Mittel zur Bildaufnahme und -aufzeichnung und setzt voraus, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort künftig erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen. Anlass, Zweck und die hierzu verwendeten Mittel werden klar umschrieben und genügen den Anforderungen an die Bestimmtheit und Normenklarheit.
c) Gleichfalls mit der Sächsischen Verfassung vereinbar ist § 30 Abs. 2 SächsPBG. Die Vorschrift fordert die Löschung oder Vernichtung der angefertigten Bildaufzeichnungen und die daraus gefertigten Unterlagen spätestens nach einem Monat, soweit diese nicht für bestimmte Zwecke weiter erforderlich sind. Die in Art. 33 SächsVerf (Datenschutz) eingreifende Norm genügt den Anforderungen an die Bestimmtheit, Normenklarheit und Verhältnismäßigkeit, soweit die Speicherung der angefertigten Bildaufzeichnungen und der daraus gefertigten Unterlagen zu den abschließend aufgezählten Zwecken nur zur Verhütung erheblicher Gefahren (§ 3 SächsPBG i.V.m. § 4 Nr. 3 Buchst. c SächsPVDG) erfolgen darf (Gleichwertigkeit zum Erhebungszweck).

d) § 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 und 7 (Identitätsfeststellung), § 87 Abs. 1 Satz 3 (Datenabgleich), § 58 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 5 Alt. 2 (automatisierte Kennzeichenerkennung) SächsPVDG sind mit der Sächsischen Verfassung vereinbar. 

aa)    Die Maßnahmen zur Identitätsfeststellung greifen zwar in das Recht auf Datenschutz (Art. 33 SächsVerf) und die Versammlungsfreiheit (Art. 23 Abs. 1 SächsVerf) ein. Sie sind jedoch jeweils verhältnismäßig. Die Informationsgewinnung im Vorfeld konkreter Gefahrenabwehr stellt einem legitimen Zweck dar. Sie kann dazu beitragen, der Polizei Erkenntnisse zu verschaffen, mit denen sie Gefahren abwehren kann. Der mit der Identitätsfeststellung verfolgte Zweck steht nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs. Die Maßnahmen beziehen sich jeweils auf einen hinreichend konkreten und objektiven Anlass. Die Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle werden beachtet.

bb)    Nach § 87 Abs. 1 Satz 3 SächsPVDG darf die Polizei die durch eine Identitätsfeststellung erlangten personenbezogenen Daten zum Zwecke der Gefahrenabwehr mit dem Fahndungsbestand abgleichen. Es handelt sich um einen geringfügigen Grundrechtseingriff, ohne den die Identitätsfeststellung kaum sinnvoll wäre. Der Datenabgleich darf nur von derselben Behörde zur Erfüllung derselben Aufgabe und zum Schutz derselben Rechtsgüter erfolgen. Er genügt damit dem Grundsatz der Zweckbindung.

cc)    Durch die automatische Kennzeichenerkennung werden einzelne, jeweils einem Fahrzeug und über dieses dem jeweiligen Halter zuordenbare Kfz-Kennzeichen erfasst und zur polizeilichen Aufgabenwahrnehmung mit weiteren Daten abgeglichen. Es lassen sich Name, Anschrift sowie weitere Informationen ermitteln. 

Insbesondere hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, dass Kennzeichenkontrollen auch außerhalb des 30-km-Gürtels vorgenommen werden dürfen. Ein ausreichender und den Bestimmtheitsanforderungen genügender Grenzbezug wird dadurch hergestellt, dass die erhebliche Bedeutung der Bundesfernstraßen und der anderen Straßen für die grenzüberschreitende Kriminalität durch die Polizei vor der Durchführung der Maßnahme durch dokumentierte Erkenntnisse dargelegt sein muss und die Umsetzung in einem dienststellen-übergreifenden Kontrollkonzept zu regeln ist. 
Der in § 58 Abs. 1 SächsPVDG geregelte Datenabgleich genügt ebenfalls den Anforderungen an die Bestimmtheit, Normenklarheit und Verhältnismäßigkeit, weil die einzubeziehenden Fahndungsbestände auf solche ausgeschriebenen Personen und Sachen beschränkt werden, die für den jeweiligen Zweck der Kennzeichenkontrolle Bedeutung haben. Dies wird dadurch sichergestellt, dass die Fahndungsbestände, die zum Abgleich einbezogen werden, dokumentiert werden müssen (§ 58 Abs. 4 Satz 2 SächsPVDG). 
§ 58 Abs. 3 Satz 5 Alt. 2 SächsPVDG gestattet es, dass die durch eine automatisierte Kennzeichenerkennung erhobenen Daten im Trefferfall nicht gelöscht, sondern zur Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung verwendet werden dürfen. Die damit einhergehende zweckändernde Nutzung ist verfassungsrechtlich zulässig, weil sie dem Schutz von Rechtsgütern dient, die auch die Durchführung einer Kfz-Kennzeichenerkennung rechtfertigen.


D.
Die Regelungen zur Weiterverarbeitung personenbezogener Daten aus Strafverfahren (§ 80 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 4 SächsPVDG) sind nicht mit der Sächsischen Verfassung vereinbar. 
§ 80 Abs. 2 SächsPVDG regelt die Befugnis zur Weiterverarbeitung personenbezogener Daten zum Zweck der Gefahrenabwehr, die im Rahmen der Verfolgung von Straftaten gewonnen werden. Die Bestimmung differenziert nach bestimmten Personenkategorien. Unklar bleibt, ob § 80 Abs. 2 SächsPVDG einen Unterfall der Weiterverarbeitung innerhalb polizeilicher Informationssysteme gemäß § 80 Abs. 1 SächsPVDG darstellt oder aber als eigenständige Rechtsgrundlage für die zweckändernde Weiterverarbeitung von Daten aus Maßnahmen der Strafverfolgung selbständig neben § 80 Abs. 1 SächsPVDG steht. Der von einer Datenerhebung betroffene Bürger muss anhand des Inhalts der Norm beurteilen können, unter welchen Voraussetzungen eine Weiterverarbeitung seiner im Rahmen einer repressiven Maßnahme gewonnenen personenbezogenen Daten über das Ursprungsverfahren hinaus zulässig ist (Grundsatz der Normenklarheit).

§ 80 Abs. 1 i.V.m. § 79 SächsPVDG (Allgemeine Befugnis zur Datenverarbeitung) ist mit der Sächsischen Verfassung vereinbar. 
§ 80 Abs. 1 SächsPVDG ermächtigt die Polizei zur Weiterverarbeitung von personenbezogenen Daten in polizeilichen Informationssystemen. Unter Weiterverarbeitung in diesem Sinne ist die nach Abschluss des Ausgangsverfahrens erfolgende weitere Nutzung der dort erhobenen oder sonst erlangten – z.B. durch Dritte unaufgefordert übermittelten – personenbezogenen Daten zu verstehen. Hierzu zählen die (weitere) Speicherung, alle denkbaren Nutzungen wie Abfragen, Abgleiche, Auswertungen durch den Polizeivollzugsdienst, die Weitergabe sowie die Veränderung der personenbezogenen Daten, bei denen tatsächlich auf sie zugegriffen wird. Es wird grundsätzlich jede Form der Datenweiterverarbeitung in polizeilichen Informationssystemen erfasst, insbesondere auch automatisierte Datenweiterverarbeitungen, mit Ausnahme der vorausgegangenen Erhebung und der die Weiterverarbeitung beendenden Löschung. Der Umfang der Weiterverarbeitung ist hier durch den Verweis auf § 79 SächsPVDG klar geregelt. § 80 Abs. 1 SächsPVDG ist zudem dahingehend auszulegen, dass sich die Ermächtigung zur Weiterverarbeitung ausschließlich auf rechtmäßig erhobene bzw. sonst rechtmäßig erlangte Daten bezieht.
Die in §§ 55 Abs. 4 Satz 2 und 74 SächsPVDG geregelten Benachrichtigungspflichten sind verfassungsrechtlich notwendig aber auch, insbesondere mit dem in § 92 Abs. 2 SächsPVDG bestehenden allgemeinen Anspruch auf Auskunft über die Verarbeitung personenbezogener Daten, ausreichend. 


E.
§ 17 Abs. 4 des Sächsischen Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Sächsisches Datenschutz-Umsetzungsgesetz – SächsDSUG) ist mit der Sächsischen Verfassung vereinbar. 
§ 17 Abs. 4 SächsDSUG verbietet dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten die Anordnung der sofortigen Vollziehung seiner Maßnahmen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gegenüber einer Behörde oder einem Rechtsträger. Damit haben Widerspruch und Klage einer öffentlichen Stelle gegen datenschutzrechtliche Maßnahmen des Sächsischen Datenschutzbeauftragten immer aufschiebende Wirkung, d.h. die jeweilige Maßnahme kann während eines nicht abgeschlossenen Widerspruchs- oder Klageverfahrens nicht durchgesetzt werden.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes hat der Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz für eine derartige verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung. Der Rechtsschutz eines von einer Datenerhebung betroffenen Bürgers wird dadurch nicht in verfassungswidriger Weise eingeschränkt, der Sächsische Datenschutzbeauftragte nicht in seiner verfassungsrechtlichen Stellung aus Art. 57 SächsVerf verletzt.


F.
§ 21 Abs. 2 (Aufenthaltsgebot und -verbot) und Abs. 3 (Kontaktverbot), § 61 Abs. 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Alt. 1, Satz 7 Nr. 1 (elektronische Aufenthaltsüberwachung) SächsPVDG sind nicht mit der Sächsischen Verfassung vereinbar, soweit die in diesen Vorschriften in Bezug genommenen Straftatbestände Vorbereitungshandlungen und bloße Rechtsgutsgefährdungen erfassen (siehe oben A.).

Im Übrigen sind die Regelungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. § 21 Abs. 2, Abs. 3, § 61 Abs. 1, Abs. 2 SächsPVDG setzen das Vorliegen einer konkretisierten Gefahr voraus. Das ist auch für diese Art von Maßnahmen, die nicht nur zu Überwachungen ermächtigen, sondern gefahrbeendende Wirkung haben, verfassungsrechtlich zulässig. 
Über den strengen Erforderlichkeitsvorbehalt in § 21 Abs. 7 Satz 1 SächsPVDG sowie über den Richtervorbehalt in § 21 Abs. 4 SächsPVDG bzw. für die Aufenthaltsüberwachung in § 61 Abs. 5 SächsPVDG wird sichergestellt, dass der bewirkte Eingriff auch im Einzelfall verhältnismäßig ist.

a)    Nach § 21 Abs. 2 SächsPVDG kann einer Person für die Dauer von höchstens zwei Monaten zum Zweck der Verhütung von Straftaten untersagt werden, sich ohne Erlaubnis der zuständigen Polizeidienststelle von ihrem Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich zu entfernen (Aufenthaltsgebot) oder für die Dauer von höchstens zwei Monaten zum Zweck der Verhütung von Straftaten untersagt werden, sich ohne Erlaubnis der zuständigen Polizeidienststelle in einem bestimmten Bereich aufzuhalten (Aufenthaltsverbot).

b)    § 21 Abs. 3 SächsPVDG (Kontaktverbot) untersagt einer Person für einen Zeitraum von höchstens zwei Monaten den Kontakt mit anderen Personen. Das Kontaktverbot schließt nicht nur eine räumliche Annäherung an bestimmte Personen aus, sondern auch jede andere Form der Kontaktaufnahme, so etwa durch Telefongespräche, die Post oder durch das Internet hergestellte Verbindungen.

c)    Nach § 61 Abs. 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 SächsPVDG darf die Polizei eine Person dazu verpflichten, ein technisches Mittel, mit dem der Aufenthaltsort dieser Person elektronisch überwacht werden kann, ständig in betriebsbereitem Zustand am Körper bei sich zu führen und dessen Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Nach § 61 Abs. 2 SächsPVDG darf die elektronische Aufenthaltsüberwachung erfolgen, wenn gegen den Betroffenen eine Aufenthaltsanordnung nach § 21 Abs. 2 SächsPVDG oder ein Kontaktverbot nach § 21 Abs. 3 SächsPVDG erlassen worden ist und die Maßnahme erforderlich ist, um den Betroffenen von der Begehung der anlassgebenden Straftaten abzuhalten und Verstöße gegen die Aufenthaltsanordnungen nach § 21 Abs. 2 SächsPVDG und Kontaktverbote zu verhüten. Die Pflicht zum ständigen Beisichführen der sog. Elektronischen Fußfessel und die damit verbundenen Duldungs-, Unterlassungs- und Handlungspflichten berühren die engere persönliche Lebenssphäre und -gestaltung des Betroffenen (allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 15 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 SächsVerf).
§ 61 Abs. 3 Satz 7 Nr. 1 SächsPVDG erlaubt es der Polizei, die unter den Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 und 2 SächsPVDG erhobenen Daten zur Verhütung und Verfolgung von terroristischen Straftaten sowie von Straftaten gegen Rechtsgüter i.S.v. § 21 Abs. 2 Nr. 1 SächsPVDG zu verarbeiten. Diese Ermächtigung zur Datenverarbeitung greift in Art. 33 SächsVerf ein. 

G.
§ 40 Abs. 4 Satz 3 SächsPVDG und § 46 SächsPVDG ermöglichen Spezialeinheiten des Polizeivollzugsdienstes den Einsatz von Maschinengewehren und Handgranaten als sog. besondere Waffen in begrenzten Einsatzszenarien unter qualifizierten Voraussetzungen und nach Freigabe durch den Landespolizeipräsidenten oder dessen Vertreter.
Die Regelungen verstoßen weder gegen Strukturprinzipien der Sächsischen Verfassung bzw. ungeschriebene Grundsätze des Verfassungsrechts noch verletzen sie Grundrechte, namentlich das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 SächsVerf). Sie dienen der Gefahrenabwehr und unterliegen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder. Die vom Gesetzgeber aufgestellte Annahme, dass im Fall einer hohen terroristischen Gefahrenlage das bisherige Waffenarsenal der Polizei keine Gewähr für eine ausreichende Abwehr terroristischer Gewalttäter bietet, ist von dessen Einschätzungsspielraum gedeckt. Der Einsatz derartiger besonderer Waffen wird in Menschenmengen ausgeschlossen (§ 46 Abs. 2 PVDG), zusätzlich bestehen weitere prozedurale und materielle Sicherungen (§§ 40 Abs. 4 Satz 3, 41, 46 Abs. 1 SächsPVDG).


Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Vf. 91-II-19

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