21.07.2005

Sächsisches Verfassungsschutzgesetz teilweise verfassungswidrig

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Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat durch Urteil vom heutigem Tag einzelne Bestimmungen des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes (SächsVSG), welche die Beobachtung von...

Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat durch Urteil vom heutigem Tag einzelne Bestimmungen des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes (SächsVSG), welche die Beobachtung von Tätigkeiten und Bestrebungen der Organisierten Kriminalität durch das Landesamt für Verfassungsschutz regeln, für verfassungswidrig erklärt und einschränkende Vorgaben für die Anwendung des Gesetzes aufgestellt.

Das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle war von 30 Abgeordneten des 3. Sächsischen Landtages eingeleitet worden. Diese machten geltend, dass die zur Bekämpfung Organisierter Kriminalität mit Gesetz vom 20. April 2004 in das Sächsische Verfassungsschutzgesetz eingefügten Regelungen nicht im Einklang mit der Sächsischen Verfassung stünden und deshalb nichtig seien. Der Antrag richtete sich insbesondere gegen § 1 Abs. 2 Nr. 2 SächsVSG, wo-nach das Landesamt für Verfassungsschutz für die Zusammenarbeit mit dem Bund oder den anderen Ländern in Angelegenheiten des Schutzes vor Organisierter Kriminalität zuständig ist. Außerdem vertraten die Antragsteller die Auffassung, dass ein sog. »Großer Lauschangriff«, d. h. der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur optischen und akustischen Wohnraumüberwachung, bei der Beobachtung Organisierter Kriminalität durch das Landesamt für Verfassungsschutz und die Übermittlung der hierbei gewonnenen Daten an Polizei- und Strafverfolgungsbehörden verfassungswidrig seien.

Der Antrag hatte weitgehend Erfolg. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes sind die Zuständigkeitsbestimmung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 SächsVSG - und darüber hinaus der nicht angegriffene § 2 Abs. 1 Nr. 5 SächsVSG, der die Sammlung von Informationen über Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität als eine Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz definiert, verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass der Verfassungsschutz im Bereich der Bekämpfung Organisierter Kriminalität nur dann zum Handeln befugt sei, wenn dies zugleich dem Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung diene. Soweit es allein um klassische Aufgaben von Polizei und Staatsanwaltschaft, d.h. Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, gehe, verbiete Art. 83 Abs. 3 Satz 1 Sächsische Verfassung ein Tätigwerden des Landesamtes für Verfassungsschutz. Diese Sichtweise stehe im Einklang mit dem Willen des Verfassungsgebers, der nach den historischen Erfahrungen mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR Polizei und Geheimdienst soweit wie möglich voneinander abgrenzen wollte.

Für unvereinbar mit der Sächsischen Verfassung hat der Verfassungsgerichtshof § 5 Abs. 4 Nr. 2 SächsVSG erklärt. Die Vorschrift, die den Großen Lauschangriff zur Bekämpfung Organisierter Kriminalität regelt, verstoße gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung in Verbindung mit der Menschenwürde, weil Voraussetzungen und Schranken von akustischen und optischen Wohnraumüberwachungsmaßnahmen nicht hinreichend bestimmt seien. Es sei nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung unangetastet bleiben müsse und gegebenenfalls begonnene - die Intimsphäre beeinträchtigende - Abhörmaßnahmen zu beenden sowie insoweit gewonnene Aufzeichnungen zu vernichten seien.

Gleichermaßen für verfassungswidrig erachtete der Verfassungsgerichtshof zwei Vorschriften, welche die Übermittlung der personenbezogenen Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz an Polizei- und Strafverfolgungsbehörden betreffen.

§ 5 Abs. 7 SächsVSG verstoße gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, weil es die Weiterleitung von Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz gestatte, die von Polizei und Staatsanwaltschaft selbst von Verfassungs wegen nicht hätten erhoben werden dürfen. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 sei die Staatsanwaltschaft nur bei Verdacht von Straftaten zu Abhörmaßnahmen berechtigt, die in § 100c Abs. 1 Nr. 3 Strafprozessordnung genannt sind und für die eine Höchststrafe von mehr als fünf Jahren vorgesehen ist. Die angegriffene Vorschrift nehme demgegenüber aber Bezug auf Straftaten mit geringerer Strafandrohung. Entsprechendes gelte für die Datenübermittlung zum Zwecke der Gefahrenabwehr. Die angesprochenen - zum Teil nur mittelschweren - Straftaten könnten keine Gefahr im Sinne von Art. 30 Abs. 3 Sächsische Verfassung begründen. § 12 Abs. 2 SächsVSG stehe nicht im Einklang mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, weil er für vom Landesamt für Verfassungsschutz erhobene Daten keine ausreichende Kennzeichnung der Herkunft der Daten vorschreibe. Nach Art. 33 Satz 3 Sächsische Verfassung müssten Voraussetzungen und Umfang, aber auch der Zweck von Erhebung, Übermittlung und Verwendung personenbezogener Daten gesetzlich verankert sein. Diesem Gebot der Zweckbindung könne nur entsprochen werden, wenn auch nach der Erfassung aufgrund einer entsprechenden Kennzeichnung erkennbar bleibe, mittels welcher Maßnahme sie erhoben worden sind und ob Verwendungsbeschränkungen bestehen.

Der Verfassungsgerichtshof hat für eine Übergangszeit bis zum bis 30. Juni 2006 die Fortgeltung der verfassungswidrigen Vorschriften mit entsprechenden Modifizierungen ihres Anwendungsbereichs angeordnet. Für die Zeit danach muss der Gesetzgeber die Frage eines »Großen Lauschangriffes« zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und der Datenübermittlung an Polizei und Staatsanwaltschaft neu klären.


Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen, Urteil vom 21. Juli 2005 - Vf. 67-II-04


Art. 30 Sächsische Verfassung
(1) Die Wohnung ist unverletzlich.
(2) ...
(3) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im Übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutz gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

Art. 33 Sächsische Verfassung
Jeder Mensch hat das Recht, über die Erhebung, Verwendung und Weitergabe seiner personenbezogenen Daten selbst zu bestimmen. Sie dürfen ohne freiwillige und ausdrückliche Zustimmung der berechtigten Person nicht erhoben, gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden. In diese Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Art. 83 Abs. 3 Satz 1 Sächsische Verfassung
Der Freistaat unterhält keinen Geheimdienst mit polizeilichen Befugnissen.

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