17.08.2023

Antrag im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle gegen Normen des Gesetzes zur Neustrukturierung des Polizeirechtes des Freistaates Sachsen

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Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen führt im Dienstgebäude des Verfassungsgerichtshofes in Leipzig, Harkortstraße 9, Saal 115 am Donnerstag, den 14. September 2023, 13.00 Uhr ...

Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen führt im Dienstgebäude des Verfassungsgerichtshofes in Leipzig, Harkortstraße 9, Saal 115

am Donnerstag, den 14. September 2023, 13.00 Uhr sowie
am Freitag, den 15. September 2023, 10.00 Uhr,

eine mündliche Verhandlung im Verfahren über den Antrag auf abstrakte Normenkontrolle durch.                               

 

Mit Normenkontrollantrag vom 1. August 2019 haben 35 Mitglieder des 6. Sächsischen Landtages, die den damaligen Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angehörten, das seit dem 1. Januar 2020 geltende Gesetz zur Neustrukturierung des Polizeirechtes des Freistaates Sachsen vom 11. Mai 2019 (SächsGVBl. S. 358) zur Überprüfung gestellt.

 

Mit dem Antrag wird begehrt, verschiedene Normen des Gesetzes über die Aufgaben, Befugnisse, Datenverarbeitung und Organisation des Polizeivollzugsdienstes im Freistaat Sachsen (Sächsisches Polizeivollzugsdienstgesetz – SächsPVDG), des Gesetzes über die Aufgaben, Organisation, Befugnisse und Datenverarbeitung der Polizeibehörden im Freistaat Sachsen (Sächsisches Polizeibehördengesetz – SächsPBG) sowie des Sächsischen Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Sächsisches Datenschutz-Umsetzungsgesetz – SächsDSUG) für nichtig zu erklären.

Die vorgenannten Gesetze regeln die Tätigkeit des Polizeivollzugsdienstes sowie der allgemeinen Polizeibehörden bei der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Diese Materie unterliegt der Gesetzgebungskompetenz der Länder. Hiervon abzugrenzen ist die Tätigkeit der Polizei bei der Verfolgung und Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. In diesem Bereich finden Bundesgesetze (z.B. Strafprozessordnung, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten) Anwendung.

 

Der Antrag richtet sich u.a. gegen mehrere Vorschriften, die Ermächtigungen zu individualbezogenen verdeckten Überwachungsmaßnahmen enthalten. Nach Ansicht der Antragsteller werden die grundrechtlichen Anforderungen an eingriffsintensive Überwachungsmaßnahmen im Vorfeld konkreter Gefahren verfehlt. Im Einzelnen geht es u.a. um Observationen, auch mit technischen Mitteln, Bild- und Tonaufzeichnungen außerhalb von Wohnungen (§ 63 SächsPVDG), den Einsatz menschlicher Quellen (§ 64 SächsPVDG) sowie Überwachungen und Datenerhebungen mit Bezug zu Telekommunikations- und Telemediendiensten (§ 66 bis § 68 SächsPVDG). Darüber hinaus wenden sich die Antragsteller gegen die Vorschrift über die Benachrichtigung der Betroffenen verdeckter Überwachungsmaßnahmen (§ 74 SächsPVDG), weil diese Regelung ihrer Ansicht nach teils zu weitgehende Ausnahmen von der grundsätzlichen Benachrichtigungspflicht vorsehe.

 

Weiterhin greift der Antrag die Möglichkeit der Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung oder zur gezielten Kontrolle (§ 60 SächsPVDG) an, weil hierdurch ebenfalls Informationen über bestimmte Personen gewonnen werden könnten, ohne dass die tatbestandlichen Voraussetzungen eine solche Maßnahme verfassungsrechtlich rechtfertigen könnten.

 

Die Antragsteller gehen weiter davon aus, dass Ermächtigungen zu Überwachungs- oder Kontrollmaßnahmen zu weit gefasst und daher unverhältnismäßig seien. lm Einzelnen handelt es sich um bestimmte Formen der Identitätsfeststellung (§ 15 SächsPVDG), der automatisierten Kfz-Kennzeichenerkennung (§ 58 SächsPVDG), um die automatisierte Bildanalyse im öffentlichen Verkehrsraum (§ 59 SächsPVDG) sowie um Videoüberwachungen durch Polizeibehörden an gefährlichen Orten oder gefährdeten Objekten (§ 30 SächsPBG). Da diese Maßnahmen nicht von einem gegen bestimmte Personen gerichteten Verdacht ausgehen, beschreiben die gesetzlichen Ermächtigungen den polizeilichen Eingriffsanlass anhand von orts- oder raumbezogenen Gefahrprognosen. Teilweise fehle es (auch) an verfassungsrechtlich gebotenen prozeduralen Schutzvorkehrungen.

 

Ferner werden Regelungen zur Möglichkeit der Sammlung personenbezogener Daten durch den Polizeivollzugsdienst angegriffen, welche erst bei künftigen Anlässen genutzt werden sollen. In den Blick nimmt der Antrag zum einen die allgemeine Ermächtigung zu Datenweiterverarbeitungen in § 80 Abs. 1 SächsPVDG, zum anderen Sonderregelungen für die Weiterverarbeitung von personenbezogenen Daten, die der Polizeivollzugsdienst auf strafprozessualer Grundlage erlangt hat (§ 80 Abs. 2 und 4 SächsPVDG). Gerügt wird, dass diese Ermächtigungen die Bevorratung personenbezogener Daten in vollzugspolizeilichen Datensammlungen und die spätere Nutzung der bevorrateten Daten in zu weitem Umfang zuließen und daher unverhältnismäßig seien. Weiterhin genüge die Vorschrift nicht vollständig den sich aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergebenden Verfahrensanforderungen.

 

Im Hinblick auf die Interventionsbefugnis der Sächsischen Datenschutzbeauftragten im Rahmen der Aufsicht über die Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Polizeivollzugsdienst und durch die Polizeibehörden (§ 40 Abs. 2 SächsDSUG) wird gerügt, dass das Verbot in § 17 Abs. 4 SächsDSUG, gegenüber einer Behörde oder deren Rechtsträger die sofortige Vollziehung einer Anordnung herbeizuführen, sowohl Grundrechte verletze als auch gegen die bundesstaatliche Ordnung der Gesetzgebungskompetenzen verstoße.

 

Das Sächsische Polizeivollzugsdienstgesetz hat eine Reihe neuer Befugnisse zu imperativen Maßnahmen geschaffen, mit denen der Polizeivollzugsdienst Straftaten im Vorfeld konkreter Gefahren verhüten soll. Gegenstand des Normenkontrollantrags in diesem Zusammenhang sind die Ermächtigungen zu aufenthaltsbeschränkenden Anordnungen (§ 21 Abs. 2 SächsPVDG), zu Kontaktverboten (§ 21 Abs. 3 SächsPVDG) sowie zur Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung (§ 61 SächsPVDG). Diese Ermächtigungen setzen tatbestandlich entweder Anhaltspunkte für eine bevorstehende Straftat von erheblicher Bedeutung oder eine verhaltensbezogene Gefährlichkeitsprognose über einen terroristischen Gefährder voraus. Der Antrag rügt, dass die Übertragung dieser Prognosen auf imperative Maßnahmen konzeptionell verfehlt sei und die gesetzlichen Eingriffstatbestände diese Maßnahmen nicht rechtfertigten.

 

Schließlich wendet sich der Antrag gegen Regelungen, welche Spezialeinheiten des Polizeivollzugsdienstes den Einsatz von Maschinengewehren und Handgranaten als sogenannten besonderen Waffen erlauben (§ 40 Abs. 4 Satz 3, § 46 SächsPVDG), weil es sich hierbei um spezifisch militärische Waffen handele, mit denen eine Polizeibehörde wegen der verfassungsrechtlich vorgegebenen Trennung von Polizei und Militär nicht ausgestattet werden dürfe. Zumindest verletzten die Regelungen nach Ansicht der Antragsteller Grundrechte, weil ein solcher Einsatz auch dann nicht ausgeschlossen werde, wenn dadurch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Unbeteiligte getötet würden.

 

Organisatorische Hinweise an Medienvertreter:

 

  1. Eine Akkreditierung für Medienvertreter ist nicht erforderlich. Die für Medienvertreter reservierten Sitzplätze werden an die Personen vergeben, die sie zuerst einnehmen.
  2. Gemäß § 17a Bundesverfassungsgerichtsgesetz i.V.m. § 10 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen sind Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zulässig
  • in der mündlichen Verhandlung, bis das Gericht die Anwesenheit der Beteiligten festgestellt hat und
  • bei der öffentlichen Verkündung von Entscheidungen.

Aus organisatorischen Gründen werden Medienvertreter gebeten, vorab unter Angabe ihrer Kontaktdaten per E-Mail bis zum 1. September 2023 (poststelle@verfg.justiz.sachsen.de) mitzuteilen, wenn derartige Aufnahmen beabsichtigt sind.

  1.  Das Telefonieren, Twittern und sonstige Versenden von Nachrichten, das Abrufen von Daten sowie jegliche Nutzung des Internets im bzw. aus dem Sitzungssaal sind nicht gestattet.
    Alle für diese Zwecke nutzbaren elektronischen Geräte, insbesondere Mobiltelefone, Laptop-Computer oder Tablet-Computer, dürfen im Sitzungssaal nicht verwendet werden. Medienvertreter dürfen mobile Geräte im Offline-Betrieb verwenden, soweit sichergestellt ist, dass sie weder Ton- und Bildaufnahmen noch Datenübermittlungen durchführen.
     

Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Vf. 91-II-19

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