Allgemeine Hinweise zum Verfassungsbeschwerdeverfahren
Eine Verfassungsbeschwerde kann von jeder Person eingelegt werden, die sich durch die öffentliche Gewalt des Freistaates Sachsen in einem der ihr durch die Verfassung des Freistaates Sachsen garantierten Grundrechte verletzt fühlt (Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 Sächsische Verfassung, § 27 Abs. 1 Sächsisches Verfassungsgerichtshofsgesetz – SächsVerfGHG). Dabei ist Folgendes zu beachten:
- Gegenstand
Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen kann die Verfassungswidrigkeit eines Aktes der öffentlichen Gewalt des Freistaates Sachsen feststellen, z.B. ein sächsisches Gesetz für nichtig erklären oder eine Entscheidung einer sächsischen Verwaltungsbehörde und/ oder eines sächsischen Gerichts aufheben und die Sache an das Gericht zurückverweisen. Bundesgesetzliche Regelungen oder Entscheidungen eines Bundesgerichts können nicht zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof gemacht werden. Der Verfassungsgerichtshof ist für andere Anliegen, wie zum Beispiel die Entgegennahme von Strafanzeigen oder die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, nicht zuständig und übt auch keine Dienstaufsicht über Behörden und Gerichte aus. Der Verfassungsgerichtshof entscheidet nicht als weitere Instanz in anderen Gerichtsverfahren. Er überprüft gerichtliche Entscheidungen nicht im vollen Umfang auf ihre inhaltliche Richtigkeit, sondern ausschließlich auf verfassungsrechtliche Verstöße.
- Ausschöpfung des Rechtsweges
Eine Verfassungsbeschwerde ist in der Regel erst dann zulässig, wenn zuvor alle anderen durch die jeweiligen Verfahrensordnungen (z. B. Zivilprozessordnung, Verwaltungsgerichtsordnung, Strafprozessordnung) eingeräumten Rechtsbehelfe (z.B. Berufung, Revision, Beschwerde) wahrgenommen wurden und erfolglos waren. Es darf keine andere Möglichkeit bestehen, um die gerügte Grundrechtsverletzung zu beseitigen. Wird die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs gerügt, so ist die Verfassungsbeschwerde in der Regel nur zulässig, wenn zuvor versucht wurde, durch Einlegung einer Anhörungsrüge (vgl. § 321a der Zivilprozessordnung – ZPO, § 152a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO, § 178a des Sozialgerichtsgesetzes – SGG, § 78a des Arbeitsgerichtsgesetzes – ArbGG , § 44 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit FamFG, § 133a der Finanzgerichtsordnung – FGO, § 33a der Strafprozessordnung – StPO) bei dem zuständigen Fachgericht Abhilfe zu erreichen.
Gesetze, Rechtsverordnungen oder Satzungen können mit der Verfassungsbeschwerde nur ausnahmsweise direkt angegriffen werden und zwar dann, wenn sie den Beschwerdeführer unmittelbar beschweren. Erfolgt die Grundrechtsverletzung erst durch einen weiteren Vollzugsakt, muss dieser zunächst mit Rechtsmitteln angegriffen werden.
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Form und Frist
Die Verfassungsbeschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form zu erheben und zu begründen. Eine (vollständige) Übersendung per Telefax ist möglich. Eine Übermittlung durch einfache E-Mail genügt nicht. Nähere Informationen zur elektronischen Kommunikation mit sächsischen Gerichten und Justizbehörden finden Sie unter https://www.justiz.sachsen.de/.
Seit dem 1. Mai 2024 müssen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen elektronisch einreichen, sog. aktive Nutzungspflicht (vgl. § 10a Abs. 8 SächsVerfGHG).
Die Frist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde gegen behördliche und gerichtliche Entscheidungen beträgt einen Monat. Sie beginnt mit dem Tag, an dem die letzte gerichtliche Entscheidung des Instanzenzuges in schriftlich vollständiger Form zugestellt oder formlos mitgeteilt wird. Um die Einhaltung der Frist überprüfen zu können, ist das Zugangsdatum mitzuteilen. Die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz oder einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offensteht, muss binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten oder Erlass erhoben werden.
- Anforderungen an die Begründung
In der Verfassungsbeschwerde ist der beanstandete Hoheitsakt genau zu bezeichnen. Bei gerichtlichen Entscheidungen oder Verwaltungsakten sind Gericht bzw. Behörde, Datum und Aktenzeichen anzugeben.
Darüber hinaus ist das als verletzt angesehene Grundrecht der Verfassung des Freistaates Sachsen zu benennen oder jedenfalls seinem Rechtsinhalt nach zu bezeichnen. Die Verletzung anderer Rechte, etwa solcher des Grundgesetzes, kann vor dem Verfassungsgerichtshof nicht gerügt werden.
Schließlich ist im Einzelnen darzulegen, worin die behauptete Grundrechtsverletzung gesehen wird. Aus dem Vorbringen muss sich – ohne Beiziehung von Akten – mit hinreichender Deutlichkeit die Möglichkeit der Verletzung der geltend gemachten Grundrechte ergeben. Hierfür müssen alle Unterlagen, auf die sich das Beschwerdevorbringen stützt, vor allem die angegriffenen Entscheidungen, in Kopie vorgelegt werden. Gleiches gilt für alle Unterlagen, aus denen sich ergibt, dass und mit welcher Begründung Rechtsbehelfe (vgl. Nr. 2) gegen diese Entscheidungen eingelegt wurden. Die vollständige Begründung muss innerhalb der Einlegungsfrist erfolgen.
- Vertretung
Auch wenn für die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde kein Rechtsanwalt benötigt wird, empfiehlt es sich, wegen der formalen Voraussetzungen zuvor anwaltlichen Rat einzuholen. Wer sich vertreten lassen möchte, kann nur einen Rechtsanwalt oder einen Hochschullehrer des Rechts beauftragen. Die entsprechende Vollmacht ist schriftlich im Original vorzulegen und muss sich ausdrücklich auf das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beziehen. Eine allgemeine Prozessvollmacht genügt nicht.
- Kosten
Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist gerichtskostenfrei. Soweit die Verfassungsbeschwerde erfolgreich ist, werden die notwendigen Auslagen – d.h. vor allem etwaige Anwaltskosten – erstattet.
- Prozesskostenhilfe
Wie in fachgerichtlichen Verfahren kommt auch in Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof die Gewährung von Prozesskostenhilfe, insbesondere die Beiordnung eines Rechtsanwalts, nur in Betracht, wenn ein Beschwerdeführer nicht oder nur zum Teil in der Lage ist, die erforderlichen Kosten selbst aufzubringen und die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig ist.