Pressemitteilungen aus dem Jahr 2010
03.12.2010 - Zur Rechtmäßigkeit von Ordnungsrufen gegen Abgeordnete der NPD-Fraktion
In drei Organstreitverfahren entschied der Verfassungsgerichtshof jeweils mit Urteil vom heutigen Tag über die Rechtsmäßigkeit der gegen die jeweiligen Antragsteller ausgesprochenen Ordnungsrufe.
Im Verfahren des Landtagsabgeordneten Winfried Petzold stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass der Präsident des Sächsischen Landtags den Antragsteller durch die Erteilung eines Ordnungsrufes in der Sitzung des Sächsischen Landtags vom 12. November 2009 in seinen Rechten aus Art. 39 Abs.3 SächsVerf verletzte. Die Anträge der Landtagsabgeordneten Andreas Storr und Holger Apfel gegen die in der Landtagssitzung am 20. Januar 2010 ergangenen Ordnungsrufe hatten keinen Erfolg.
Zur Begründung führte der Verfassungsgerichtshof aus:
Maßstab für eine mögliche Verletzung von Rechten der Antragsteller könnten allein die sich aus Art. 39 Abs.3 SächsVerf ergebenden Statusrechte – hier das Rederecht – sein.
Das Rederecht des Abgeordneten werde durch andere Güter von Verfassungsrang begrenzt und erfahre seine nähere Ausgestaltung durch die Geschäftsordnung des Landtags. Die Geschäftsordnung schaffe den notwendigen Rahmen für die geordnete Wahrnehmung der Abgeordnetenrechte und sichere damit die Funktionsfähigkeit des Parlaments. Diesem Zweck diene auch das Instrumentarium der sich aus der Geschäftsordnung ergebenden Ordnungsmaßnahmen. Dabei obliege es der Gestaltungsbefugnis des Landtags im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie zu entscheiden, welche Ordnungsmaßnahmen unter welchen Voraussetzungen eingesetzt werden könnten. Grenzen der Regelungsmacht des Landtags folgten u.a. aus den Statusrechten der Abgeordneten.
Im Hinblick auf die Bedeutung des Rederechts des Abgeordneten für die Demokratie und die Funktionsfähigkeit des Parlaments könnten die dem Landtagspräsidenten an die Hand gegebenen Ordnungsmittel nicht dazu dienen, bestimmte inhaltliche Positionen aus der parlamentarischen Debatte auszuschließen. Sie dienten auch nicht der Sicherung eines gesellschaftlichen Konsenses. Das Parlament sei insoweit auch Ort der Darstellung von Positionen von Minderheiten. Diese sei solange hinzunehmen, wie sie nicht in einer Weise geschehe, die die parlamentarische Ordnung verletze. Dies sei dann der Fall, wenn es sich nicht mehr um eine inhaltliche Auseinandersetzung handele, sondern eine bloße Provokation, die Herabwürdigung Anderer oder die Verletzung von Rechtsgütern Dritter im Vordergrund stehe. Je mehr die inhaltliche Auseinandersetzung in der Parlamentsdebatte im Vordergrund stehe und je intensiver die politische Auseinandersetzung geführt werde, desto eher müssten konkurrierende Rechtsgüter hinter dem Rederecht zurück stehen. Sofern Redebeiträge verschiedene Deutungsmöglichkeiten eröffneten, dürfe nicht von vorneherein eine Deutung zugrunde gelegt werden, die Ordnungsmaßnahmen rechtfertige, wenn auch andere Deutungen möglich seien.
Bei der Anwendung der Ordnungsmaßnahmen komme dem Landtagspräsidenten ein durch den Verfassungsgerichtshof zu respektierender Beurteilungsspielraum zu. Die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte sei umso intensiver, je deutlicher der Ordnungsruf auf den Inhalt und nicht auf das Verhalten des Abgeordneten reagiere.
An diesen Grundsätzen gemessen, hatte der Antrag des Landtagsabgeordneten Petzold Erfolg. Die von ihm verwendete Formulierung „anglo-amerikanischer Vernichtungsexzess“ im Kontext seiner Rede zu dem Entwurf eines Sächsischen Versammlungsgesetzes sei insgesamt eine inhaltlich politische Stellungnahme. Eine Beeinträchtigung konkurrierender Verfassungsgüter von erheblichem Gewicht, die einen Ordnungsruf gerechtfertigt hätte, sei in diesem Fall nicht erkennbar. Die Annahme der seinerzeit amtierenden Vizepräsidentin des Landtags, die beanstandete Formulierung sei eine Relativierung des Holocaust, finde in der konkreten Rede des Antragstellers keine Stütze
Bei den Äußerungen der Landtagsabgeordneten Apfel und Storr, die u.a. von „hassgeifernden, entkultivierten Antimenschen“ bzw. von „renitenten Denkgegnern“, „dauerpubertierenden Antifaschisten“ und von „Gesindel“ mit „geistig-seelischen Mängel(n)“ gesprochen hat-ten, stehe hingegen zweifellos die Herabwürdigung Anderer im Vordergrund. Mit den von ihnen gewählten Formulierungen sprächen sie den jeweils bezeichneten Personen die Qualität als gleichwertige Persönlichkeiten ab und verletzten diese dadurch in ihrer Menschenwürde. Aufgrund des damit einhergehenden Verstoßes gegen die parlamentarische Ordnung seien die Ordnungsrufe jeweils berechtigt.
SächsVerfGH, Urteile vom 3. Dezember 2010 – Vf. 12-I-10, Vf. 16-I-10, Vf. 17-I-10
03.12.2010 - Sitzungsausschluss des Landtagsabgeordneten Holger Apfel rechtmäßig
Im Organstreitverfahren auf Antrag des Abgeordneten der NPD-Fraktion Holger Apfel entschied der Verfassungsgerichtshof mit Urteil vom heutigen Tage, dass der vom Präsidenten des Sächsischen Landtags im Einvernehmen mit dem Präsidiums des Landtags verfügte Ausschluss von zehn Sitzungen des Landtags verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei.
Zur Begründung führte der Verfassungsgerichtshof aus:
Maßstab für eine mögliche Verletzung von Rechten des Antragstellers könnten allein die sich aus Art. 39 Abs.3 SächsVerf ergebenden Statusrechte des Abgeordneten (sein Rede-, Antrags- und Stimmrecht) sein.
Diese Statusrechte des Abgeordneten würden durch andere Güter von Verfassungsrang begrenzt. Zu deren Wahrung sei dem Präsidenten bzw. dem Präsidium des Landtags das sich aus der Geschäftsordnung des Landtags ergebende Instrumentarium der Ordnungsmaßnahmen an die Hand gegeben. Dabei obliege es der Gestaltungsbefugnis des Landtags im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie zu entscheiden, welche Ordnungsmaßnahmen unter welchen Voraussetzungen eingesetzt werden könnten. §§ 96 und 97 der Geschäftsordnung, die die Erteilung eines Ordnungsrufes, eine Wortentziehung und den Ausschluss von Sitzungen regeln, begegneten keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der erforderliche Ausgleich mit den widerstreitenden verfassungsrechtlichen Belangen, u.a. den Statusrechten des Abgeordneten, sei auf der Ebene des Einzelfalls herzustellen.
Bei der Anwendung der Ordnungsmaßnahmen komme dem Präsidenten – in den Fällen des § 97 Abs.2 GO gemeinsam mit dem Präsidium - ein durch den Verfassungsgerichtshof zu respektierender Beurteilungsspielraum zu. Die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte sei hieran auszurichten. Sie sei umso intensiver, je deutlicher die Ordnungsmaßnahme auf den Inhalt einer Äußerung und nicht auf das Verhalten des Abgeordneten reagiere. Eröffne die Geschäftsordnung eine Auswahl zwischen verschiedenen Ordnungsmaßnahmen, überprüfe der Verfassungsgerichtshof die insoweit notwendige Ermessensentscheidung allein darauf, ob sie vertretbar erscheine.
An diesen Grundsätzen gemessen, hatte der Antrag des Landtagsabgeordneten Holger Apfel keinen Erfolg. Die Einordnung seines dem Sitzungsausschluss zugrunde liegenden Verhaltens als besonders schwerer Fall einer Verletzung der parlamentarischen Ordnung sei weder verfahrensmäßig noch inhaltlich zu beanstanden.
Die Entscheidung des Landtagspräsidenten, dem Antragsteller wegen angenommener, in den Inhalten seiner Ausführungen liegender Ordnungsverstöße das Wort zu entziehen, sei nicht evident fehlerhaft und deshalb wirksam gewesen. Der Antragsteller sei deshalb – ungeachtet seines Rechts gegen diese Maßnahme Einspruch einzulegen – verpflichtet gewesen, seine Ausführungen unverzüglich zu beenden. Indem der Antragsteller dennoch weiter sprach und sich dem sodann verfügten Sitzungsausschluss widersetzte, habe er Ordnungsverstöße begangen. Die Einschätzung des Landtagspräsidenten im Einvernehmen mit dem Präsidium des Landtags, es habe sich dabei um besonders schwere Ordnungsverletzungen im Sinne des § 97 Abs.2 Satz 1 GO gehandelt, die einen Sitzungsausschluss für mehrere Sitzungstage rechtfertigten, halte sich im Rahmen des dem Präsidenten und dem Präsidium des Landtags zukommenden Beurteilungsspielraum. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller selbst wiederholten Aufforderungen des Antragsgegners, den Ordnungsmaßnahmen Folge zu leisten, nicht nachkam, sondern schließlich sogar von polizeilichen Ordnungskräften aus dem Sitzungssaal entfernt werden musste.
SächsVerfGH, Urteil vom 3. Dezember 2010 – Vf. 77-I-10
30.11.2010 - Mündliche Verhandlung im Organstreitverfahren wegen des Ausschlusses eines Landtagsabgeordneten von protokollarischen Veranstaltungen des Landtags
Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat in dem Organstreitverfahren auf Antrag des Landtagsabgeordneten Andreas Storr gegen den Präsidenten des Sächsischen Landtags wegen des Ausschlusses von drei protokollarischen Veranstaltungen des Sächsischen Landtags anlässlich des Verhaltens von Mitgliedern der NPD-Fraktion beim Antrittsbesuch des Bundespräsidenten im Freistaat Sachsen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf
Freitag, den 3. Dezember 2010, 11.00 Uhr,
Saal 115, Harkortstraße 9, Leipzig.
Nach Auffassung des Antragstellers wurde er durch die den Ausschluss anordnende, auf das Hausrecht gestützte Verfügung des Präsidenten des Sächsischen Landtags vom 27. September 2010, die dem Antragsteller u.a. eine Teilnahme an dem Festakt „20 Jahre Deutsche Einheit“ am 3. Oktober 2010 untersagte, in seinen verfassungsmäßigen Rechten als Abgeordneter verletzt.
Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Vf. 87-I-10
05.11.2010 - Landtagsabgeordneter obsiegt im Organstreitverfahren wegen unvollständig beantworteter Kleiner Anfrage
Im Organstreitverfahren des Landtagsabgeordneten Storr gegen die Staatsregierung stellte der Verfassungsgerichtshof mit Urteil vom heutigen Tage fest, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller durch die unvollständige Beantwortung einer Kleinen Anfrage in seinen Rechten aus Art. 51 Abs.1 Satz 1 SächsVerf verletzt habe.
Auf die Kleine Anfrage des Antragstellers, welche als linksextremistisch eingestuften Organisationen derzeit durch das Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet würden, verwies ihn die Antragsgegnerin auf den Verfassungsschutzbericht und ergänzend auf das "Sächsische Handbuch zum Extremismus und zu sicherheitsgefährdenden Bestrebungen". Einer darüber hinausgehenden Auflistung aller beobachteten linksextremistischen Organisationen stünden Gründe der Geheimhaltung entgegen. Weitergehende Auskünfte würden der Parlamentarischen Kontrollkommission erteilt.
Der hiergegen gerichtete Antrag im Organstreitverfahren war erfolgreich. Der Verfassungsgerichtshof stellte fest, die Antragsgegnerin habe mit ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage den durch Art. 51 Abs.1 Satz 1 SächsVerf gewährleisteten Anspruch des Antragstellers auf nach bestem Wissen vollständige Beantwortung verletzt. Nach Art. 51 Abs.2 SächsVerf könne die Antragsgegnerin die Beantwortung von Fragen ablehnen, wenn diese den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung berührten oder einer Beantwortung gesetzliche Regelungen, Rechte Dritter oder überwiegende Belange des Gemeinschutzes entgegenstünden. Verweigere die Staatsregierung eine Antwort unter Berufung auf Art. 51 Abs.2 SächsVerf müsse sie die für maßgeblich erachteten tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte darlegen, damit die Ablehnung nachvollziehbar werde. Die pauschale Behauptung, durch die Beantwortung der Fragen würden Rückschlüsse auf die Tätigkeit der Nachrichtendienste ermöglicht, die deren Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung gefährdeten, genüge nicht. Erforderlich sei vielmehr gegenüber dem Abgeordneten die Nennung nachvollziehbarer und plausibler Gründe.
Auch der Verweis auf weitergehende Auskünfte gegenüber der Parlamentarischen Kontroll-kommission entbinde nicht von der Erfüllung der Antwortpflicht der Staatsregierung. Das Auskunftsrecht der Parlamentarischen Kontrollkommission solle keine Schwächung, sondern eine Stärkung der allgemeinen parlamentarischen Kontrolle in Bezug auf nachrichtendienstliche Tätigkeit bewirken.
SächsVerfGH, Urteil vom 5. November 2010 – Vf. 35-I-10
05.11.2010 - Organstreitverfahren der Fraktion DIE LINKE wegen der Wahl der Vize-präsidenten zum 5. Sächsischen Landtag bleibt ohne Erfolg
Mit Urteil vom heutigen Tag hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen die Anträge der Fraktion DIE LINKE in einem gegen den Sächsischen Landtag gerichteten Organstreitverfahren verworfen. Die Antragstellerin hatte sich zum einen dagegen gewandt, dass durch § 3 Abs. 2 der Geschäftsordnung des 5. Sächsischen Landtags das Vorschlagsrecht für die Wahl des 1. Vizepräsidenten des Landtags der stärksten Fraktion zugewiesen wird, so dass – anders als nach der für den 4. Sächsischen Landtag geltenden Rechtslage – dieses Vorschlagsrecht nicht mehr ihr als zweitstärkster Fraktion, sondern der CDU-Fraktion zufällt. Darüber hinaus richtete sie sich dagegen, dass die CDU-Fraktion das ihr für die Position des 3. Stellvertreters zustehende Vorschlagsrecht zugunsten eines Abgeordneten der FDP-Fraktion ausgeübt hat. Die Antragstellerin sieht sich hierdurch in ihren Rechten aus Art. 39 Abs.3 Satz 1 SächsVerf verletzt.
Der Verfassungsgerichtshof verwarf die Anträge als unzulässig, da der Antragstellerin in beiden Fällen die Antragsbefugnis fehle.
Aus Art. 39 Abs.3 SächsVerf folge, dass jedes Gremium, das wesentliche Aufgaben des Plenums wahrnehme wie ein verkleinertes Abbild grundsätzliche dessen politische Gewichtung widerspiegeln müsse. Innerhalb dieser Grenze komme dem Sächsischen Landtag allerdings ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Verfassungsgerichtlicher Kontrolle unterliege nur, ob das Prinzip gleichberechtigter Teilhabe aller Fraktionen an den Aufgaben des Landtages gewahrt bleibe.
§ 3 Abs.2 Satz 2 der mit der Konstituierung des 5. Sächsischen Landtags neu gefassten Geschäftsordnung des Sächsischen Landtags bestimme, dass das der stärksten Fraktion zustehende Vorschlagsrecht für die Wahl des Präsidenten bei der Feststellung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen für die Einräumung des Vorschlagsrechts für die Wahl der Vizepräsidenten nicht berücksichtigt werde. Hinsichtlich dieser Regelung sei weder dargelegt noch erkennbar, dass gegen das Gebot der Spiegelbildlichkeit verstoßen sein könnte. Das Präsidium in seiner Gesamtheit bilde das Stärkeverhältnis der Fraktionen zutreffend ab. Bei den Vorschlagsrechten für die Wahl des Präsidenten und der Vizepräsidenten könne das Gebot der Spiegelbildlichkeit schon deshalb keine Geltung beanspruchen, da sich diese Wahlen nicht auf die Bildung eines Mehrpersonenorgans richten.
Durch die „Zulassung“ des einen Abgeordneten der FDP-Fraktion benennenden Wahlvorschlags der Fraktion der CDU für die Wahl zum Dritten Vizepräsidenten und die nachfolgende Wahl dieses Abgeordneten komme die Möglichkeit einer Verletzung oder unmittelbaren Gefährdung eigener verfassungsmäßiger Rechte der Antragstellerin nicht in Betracht, da dieser nach ihrem eigenen Vortrag ein Vorschlagsrecht für die Wahl des Dritten Vizepräsidenten nicht zugestanden habe. Allein die Auswirkungen auf das Stärkeverhältnis zwischen anderen Fraktionen reichten für die Zulässigkeit des Antrags nicht aus, da das Organstreitverfahren nicht der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns diene.
SächsVerfGH, Urteil vom 5. November 2010 – Vf. 28-I-10
02.11.2010 - Mündliche Verhandlung in den Organstreitverfahren wegen Ordnungsrufen
Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat in drei Organstreitverfahren auf Antrag der Landtagsabgeordneten Petzold, Apfel und Storr jeweils gegen den Präsidenten des Sächsischen Landtags wegen der Erteilung von Ordnungsrufen Termin zur gemeinsamen mündlichen Verhandlung bestimmt auf Freitag, den 5. November 2010, 12.00 Uhr, Saal 115, Harkortstraße 9, Leipzig. Nach Auffassung der Antragsteller wurden sie durch die ihnen gegenüber ausgesprochenen Ordnungsrufe in den Landtagssitzungen am 12. November 2009 bzw. 20. Januar 2010 durch den Präsidenten des Sächsischen Landtags in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt. Die Ordnungsrufe erfolgten anlässlich von Redebeiträgen der Antragsteller im Rahmen der ersten bzw. zweiten Lesung des Entwurfs zum Sächsischen Versammlungsgesetz.
SächsVerfGH – Vf. 12-I-10 / Vf. 16-I-10 / Vf. 17-I-10
02.10.2010 - Teilnahme des NPD-Abgeordneten Storr an Festakten
Der Verfassungsgerichtshof hat in einer Eilentscheidung den Antrag des Abgeordneten Storr der Fraktion der NPD, ihn zum Festakt „20 Jahre Deutsche Einheit“ am 3. Oktober 2010 im Sächsischen Landtag zuzulassen, abgelehnt; dem Antrag, den Abgeordneten an dem Festakt „20. Jahrestag der Konstituierung des 1. Sächsischen Landtages nach der Friedlichen Revolution“ am 27. Oktober 2010 teilnehmen zu lassen, hat der Verfassungsgerichtshof stattgegeben.
Der Abgeordnete ist Mitglied der NPD-Fraktion im 5. Sächsischen Landtag. Am 1. September 2010 hielt der Bundespräsident im Rahmen des Antrittsbesuchs im Freistaat Sachsen im Plenarsaal des Sächsischen Landtags vor dessen Mitgliedern eine Ansprache. Beim Eintritt des Bundespräsidenten in den Plenarsaal erhob sich der Abgeordnete nicht von seinem Platz. Als der Bundespräsident im Zuge seiner Rede betonte, auch Kinder mit Migrationshintergrund hätten große Chancen, wenn sie frühzeitig gefördert würden, erhoben sich der Abgeordnete und weitere Mitglieder seiner Fraktion von den Plätzen und hielten Plakate mit der Aufschrift „ALLE WISSEN: SARRAZIN hat RECHT“ in Richtung des Bundespräsidenten und des Plenarsaales hoch. Zugleich riefen einige Mitglieder der Fraktion die plakatierte Losung in den Plenarsaal. Auch als der Bundespräsident den Plenarsaal verließ, blieb der Abgeordnete auf seinem Platz sitzen.
Der Präsident des Sächsischen Landtages nahm dies zum Anlass, den Abgeordneten Storr u.a. von den Festakten vom 3. und 27. Oktober 2010 auszuschließen. Hiergegen hat der Abgeordnete ein Organstreitverfahren eingeleitet und beantragt, ihn im Wege der einstweiligen Anordnung zu den Festakten zuzulassen.
Der Verfassungsgerichtshof hat diesem Antrag nur hinsichtlich des 27. Oktober entsprochen und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass bei einer Abwägung der wechselseitigen Belange die Interessen des Abgeordneten hinsichtlich des Festaktes zum Tag der Deutschen Einheit hinter die Belange des Sächsischen Landtages zurückzutreten hätten. Würde sich bei dieser Veranstaltung die prognostizierte Störung durch den Abgeordneten realisieren, wäre damit angesichts der mit ihrem Anlass verbundenen Herausgehobenheit dieser Veranstaltung eine besondere Beeinträchtigung des Ansehens und der Würde des Sächsischen Landtags verbunden.
Demgegenüber überwiege das Teilnahmeinteresse des Abgeordneten an der Veranstaltung vom 27. Oktober 2010. Insoweit werde dem Sanktions- und Präventionsinteresse durch den Ausschluss des Abgeordneten von der Veranstaltung am 3. Oktober 2010 hinreichend Rechnung getragen.
SächsVerfGH, Beschluss vom 2. Oktober 2010 – Vf. 88-I-10 (e.A.)
28.09.2010 - MdL Apfel bleibt vorerst von der Teilnahme an Sitzungen des Landtages ausgeschlossen
Der Verfassungsgerichtshof hat heute den Eilantrag des Vorsitzenden der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag Holger Apfel auf Zulassung zu den Landtagssitzungen am 29. und 30. September 2010 abgelehnt. Der Landtagspräsident hatte Herrn Apfel im Laufe der Plenarsitzung am 17. Juni 2010 im Einvernehmen mit dem Präsidium für insgesamt 10 Sitzungstage ausgeschlossen. Hintergrund waren Vorgänge im Rahmen einer aktuellen Debatte der NPD-Fraktion zum Verhältnis zwischen Sachsen und Israel.
Angesichts des Vorwurfs massiver Ordnungsverstöße gegen den Antragsteller, der letztlich von Ordnungskräften aus dem Plenarsaal entfernt werden musste, wiege die sofortige Wirksamkeit des daraufhin ergangenen verlängerten Sitzungsausschlusses schwerer als dessen Folgen für den Antragsteller und die Auswirkungen auf das Stimmenverhältnis im Landtagsplenum.
23.09.2010 - Mündliche Verhandlung im Organstreitverfahren des Abgeordneten Storr gegen die Sächsische Staatsregierung
Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat in dem Organstreitverfahren auf Antrag des Landtagsabgeordneten Storr gegen die Staatsregierung des Freistaates Sachsen wegen Verletzung des parlamentarischen Fragerechts Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Dienstag, 28. September 2010, 12.00 Uhr, Saal 115, Harkortstraße 9, Leipzig. Nach Auffassung des Antragstellers wurde seine Kleine Anfrage, mit der er Auskunft darüber verlangt hatte, welche als linksextremistisch eingestuften Organisationen derzeit durch das Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet werden, von der Antragsgegnerin nicht vollständig und zutreffend beantwortet.
23.09.2010 - Mündliche Verhandlung im Organstreitverfahren der Fraktion DIE LINKE gegen den Sächsischen Landtag
Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat in dem von der Fraktion DIE LINKE gegen den 5. Sächsischen Landtag eingeleiteten Organstreitverfahren wegen der Wahl der Vizepräsidenten des 5. Sächsischen Landtags Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Dienstag, 28. September 2010, 10.00 Uhr, Saal 115, Harkortstraße 9, Leipzig. Die Antragstellerin rügt, dass ihr als zweitstärkster Fraktion – entgegen der Übung in früheren Landtagen – nicht das Vorschlagsrecht für die Wahl des Ersten Vizepräsidenten zugebilligt worden sei und dass die CDU-Fraktion für die Wahl des Dritten Vizepräsidenten einen Abgeordneten der Fraktion der FDP vorgeschlagen habe, die nach der Geschäftsordnung des 5. Sächsischen Landtags selbst kein Vorschlagsrecht gehabt habe.
29.01.2010 - Sächsische Gemeinden bleiben mit Normenkontrollverfahren um die Finanzausgleichsumlage erfolglos
Mit Urteil vom heutigen Tage hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen den Antrag von 24 sächsischen Gemeinden auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Finanzausgleichsumlage nach dem Sächsischen Finanzausgleichsgesetz zurückgewiesen.
Am 10. Dezember 2008 verabschiedete der Sächsische Landtag das 6. Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes, das in § 25a die Erhebung einer Finanzausgleichsumlage von kreisangehörigen Gemeinden vorsieht, deren Steuereinahmen einen gesetzlich bestimmten Finanzbedarf übersteigen (abundante Gemeinden).
Die Antragstellerinnen, 24 sächsische Gemeinden, sahen in der Erhebung der Finanzausgleichsumlage eine Verletzung ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Sie beantragten vor dem Verfassungsgerichtshof die Feststellung, dass die betreffenden Normen des Finanz-ausgleichsgesetzes mit der Sächsischen Verfassung unvereinbar seien.
Der zulässige Antrag blieb ohne Erfolg. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes steht die Erhebung der Finanzausgleichsumlage mit der Garantie kommunaler Selbstverwaltung in Einklang.
Der Freistaat sei ausgehend vom kommunalen Finanzausstattungsanspruch verpflichtet, im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit einen übergemeindlichen Finanzausgleich zu gewährleisten. Hierbei verbleibe dem Landesgesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum, nach welchem System er die Finanzmittel auf die Gemeinden verteile. Im Rahmen seiner Regelungsfreiheit obliege es allein ihm, Unterschiede hinsichtlich des Finanzbedarfs und der vorhandenen Finanzausstattung auszumachen und festzulegen, wie unerwünschte Differenzlagen auszugleichen seien. Im Hinblick auf den weiten gesetzgeberischen Spielraum sei die verfassungsgerichtliche Kontrolle finanzausgleichsrechtlicher Instrumentarien beschränkt. Die Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof erstrecke sich allein darauf, ob die Bedarfsanalyse des Gesetzgebers evidente Fehler aufweise oder die vorgenommene Mittelverteilung dem Grundsatz der Verteilungssymmetrie offensichtlich widerspreche.
Die Finanzausgleichsumlage stelle ein zulässiges Element des übergemeindlichen Finanzausgleichs dar. Als Instrument eines horizontalen Finanzausgleichs unterstütze sie in ihren Wirkungen den in der Sächsischen Verfassung ausdrücklich vorgesehenen vertikalen Finanzaus-gleich. Der Finanzausgleich solle auf eine Angleichung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Gemeinden hinwirken. Diesem Zweck entspreche es, wenn der Gesetzgeber innerhalb des vertikalen Ausgleichs die Höhe der Zuweisungen grundsätzlich an Finanzkraft und Bedarf der Gemeinden orientiere und besonders finanzkräftige Gemeinden von den Zuweisungen ganz ausschließe. Der bloße Ausschluss von Landesmitteln könne allerdings nicht immer die angestrebte Angleichung bewirken. Dies gelte insbesondere für Gemeinden, die überdurchschnittliche Einnahmen in der Gewerbesteuer zu verzeichnen hätten. Der Gesetzgeber dürfe deshalb über den Ausschluss von Zuweisungen im vertikalen Finanzausgleich hinaus bei den abundanten Gemeinden als Ausdruck eines horizontalen Ausgleichs einen Teil der Finanzkraft abschöpfen. Kämen die hieraus resultierenden Einnahmen den nicht abundanten Gemeinden zugute, verwirkliche sich in der Finanzausgleichsumlage der Gedanke interkommunaler Solidarität.
Die Finanzausgleichsumlage entspreche auch den aus der Verfassung herzuleitenden speziellen Anforderungen an Instrumentarien des übergemeindlichen Finanzausgleichs. Ihre Erhebung bewirke keine Nivellierung gemeindlicher Finanzkraft. Zwar komme es zu einer Halbie-rung der Finanzkraftunterschiede innerhalb der Gruppe abundanter Gemeinden. In Anbetracht der erheblichen Spanne im Maß der Abundanz gehe damit aber keine unzulässige Einebnung der Finanzkraftunterschiede einher. Ebenso wenig trete durch die Berechnung der gemeindlichen Steuerkraft anhand von Nivellierungshebesätzen eine unzulässige Übernivellierung der Finanzkraftunterschiede ein. Das Abstellen auf eine fiktive Steuerkraft diene der Vermeidung einer Strategieanfälligkeit des Regelungskonzepts. Die alternativ mögliche Berechnung anhand individueller Hebesätze begründete für die Gemeinden den nicht unerheblichen Anreiz, ihre Hebesätze so zu gestalten, dass sie einerseits eine geringe Finanzumlage zu tragen hätten, andererseits Vorteile im Wettbewerb um Gewerbeansiedlungen zu Lasten dritter Gemeinden erlangten. Das Selbstverwaltungsrecht schütze die Gemeinden nicht davor, dass der Gesetzgeber solchen Anreizen entgegenwirke.
Die Auswirkungen der Finanzausgleichsumlage stellten die gemeindliche Finanzhoheit nicht in Frage. Zwar sei der Freistaat verfassungsrechtlich verpflichtet, für eine angemessene finanzielle Ausstattung der kommunalen Selbstverwaltungsträger Sorge zu tragen, die neben der Erfüllung der übertragenen Aufgaben die Wahrnehmung originär kommunaler Aufgaben ermögliche. Dies stehe aber unter dem Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Freistaates. Aus der Gleichwertigkeit staatlicher und kommunaler Aufgaben folge das Gebot der Verteilungssymmetrie, das eine aufgabengerechte Verteilung begrenzt verfügbarer Finanzmittel zwischen den verschiedenen Ebenen verlange. Vorliegend habe der Gesetzgeber Sicherungsvorkehrungen gegen eine zu weitgehende Abschöpfung der Steuerkraft abundanter Gemeinden getroffen. Insbesondere habe er Vorsorge dafür getragen, dass keine Kumulierung der Umlagen eintrete, die zu einer unzulässigen Unterschreitung der gebotenen Finanzausstattung führen könnte. Im Einzelfall eintretenden Haushaltsnotlagen abundanter Gemeinden sei mit dem gesetzlich vorgesehenen Instrumentarium der Zuweisungen zum Ausgleich besonderen Bedarfs zu begegnen.
Die aus der Erhebung der Finanzausgleichsumlage resultierende Beeinträchtigung der gemeindlichen Einnahmen- und Ausgabenhoheit sei verhältnismäßig. Insbesondere fehle es der Umlage nicht an der Geeignetheit zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele, nämlich die in den letzten Jahren stark angestiegenen Steuerdisparitäten zwischen den Gemeinden auszugleichen.
SächsVerfGH, Urteil vom 29. Januar 2010 – Vf. 25-VIII-09