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Pressemitteilungen aus dem Jahr 2008

    11.12.2008 - Verfassungsgerichtshof verwirft Abgeordnetenanklage als unzulässig

    Mit Beschluss vom heutigen Tage verwarf der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen den Antrag des Sächsischen Landtages, dem Abgeordneten Dr. Volker Külow das Mandat abzuerkennen, als unzulässig.


    In seiner Sitzung vom 13. Dezember 2007 hatte der 4. Sächsische Landtag beschlossen, gegen sein Mitglied Dr. Volker Külow Abgeordnetenanklage zu erheben, da dieser für das frühere Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) tätig gewesen sei (Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf). Er habe als inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS zusammengearbeitet und Berichte zu konkreten Verhältnissen natürlicher Personen abgeliefert. Die fortdauernde Innehabung seines Landtagsmandat erscheine untragbar.
     
    Der Antrag des Landtages hatte keinen Erfolg. Der Verfassungsgerichtshof gelangte zu dem Ergebnis, dass der Beschlussfassung im Landtag keine wirksame Abstimmung über die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Abgeordnetenanklage zu Grunde lag. Ferner habe der Landtagsbeschluss den Gegenstand der Anklage nicht ausreichend bestimmt, so dass diese nicht in zulässiger Weise bei dem Verfassungsgerichtshof erhoben worden sei.

    Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf verfolge den Zweck, das Vertrauen der Bevölkerung in die Tätigkeit des Staates zu stärken und deshalb Voraussetzungen für den Ausschluss derjenigen vom Mandat zu schaffen, die wegen ihrer MfS-Verstrickung als Abgeordnete untragbar erschienen. Die Vorschrift begründe ein Initiativrecht des Landtages; dessen Aufgabe sei es zu entscheiden, welche Umstände im Einzelfall das Bedürfnis für ein Anklageverfahren begründeten. Dies setze voraus, dass die Abgeordneten vor der Beschlussfassung vollständig über die anzuklagenden Sachverhalte unterrichtet seien. Nur wenn alle entscheidungsrelevanten Tatsachen mitgeteilt worden seien, sei jedem Abgeordneten eine sachgerechte Entscheidung darüber möglich, ob näher bestimmte Verhaltensweisen des Angeklagten den Tatbestand des Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf erfüllten und hieran die Einschätzung anknüpfen könne, die weitere Innehabung des Mandats sei untragbar.

    Vorliegend könne nicht angenommen werden, dass den Abgeordneten eine sachgerechte Beurteilung des Maßes der MfS-Verstrickung des Angeklagten sowie eine hieran anknüpfende Einschätzung zur Mandatsunwürdigkeit möglich gewesen sei. Die zur Beurteilung der MfS-Tätigkeit des Angeklagten relevanten Sachverhaltselemente seien im Plenum nicht oder nur unzureichend bekannt gegeben worden. Es fehlten Darlegungen zur Art, Dauer und Intensität der dem Angeklagten vorgeworfenen Tätigkeit. Weder in der vorangegangenen Debatte noch in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten seien die dem Angeklagten zur Last gelegten Handlungen näher beschrieben worden. Die bloße Bezugnahme auf die Unterlagen der Bundesbeauftragten gewährleiste nicht, dass die Abgeordneten von den darin dokumentierten Sachverhalten Kenntnis nehmen konnten, so dass diese Vorgänge auch nicht Grundlage der Abstimmung im Landtag gewesen seien. Die Mitteilung einzelner Handlungen des Angeklagten durch den Vorsitzenden des Bewertungsausschusses betreffe nur einige in der Mitteilung der Bundesbeauftragten dokumentierte Vorgänge und lasse weder Begehungsweisen noch Auswirkungen für die Betroffenen erkennen. Diese lediglich ausschnittsweise Schilderung mache den Abgeordneten eine verantwortliche Einschätzung des Maßes der MfS-Verstrickung nicht möglich.
     
    Darüber hinaus bestimme der Beschluss des Landtages vom 13. Dezember 2007 den Gegenstand der Anklage nicht hinreichend; der Antrag sei auch wegen fehlender Bezeichnung und Umgrenzung der vorgeworfenen Handlungen unzulässig. Die Bezugnahme auf die in den Unterlagen der Bundesbeauftragten dokumentierten Sachverhalte reiche nicht aus, um diese zum Anklagegegenstand zu machen. Anderenfalls käme dem Verfassungsgerichtshof unter Durchbrechung des maßgebenden Antragsprinzips die Aufgabe zu, die zu prüfenden Sachverhalte selbst auszuwählen.

    SächsVerfGH, Beschluss vom 11. Dezember 2008 – Vf. 151-IX-07
     
     
     
     
     

    Artikel 118 SächsVerf:
    (1) Erhebt sich der dringende Verdacht, dass ein Mitglied des Landtages oder der Staatsregierung vor seiner Wahl oder Berufung
    1. (...)
    2. für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit der DDR tätig war,
    und erscheint deshalb die fortdauernde Innehabung von Mandat oder Mitgliedschaft in der Staatsregierung als untragbar, kann der Landtag beim Verfassungsgerichtshof ein Verfahren mit dem Ziel der Aberkennung von Mandat oder Amt beantragen.
    (2) Der Antrag auf Erhebung der Anklage muss von mindestens einem Drittel der Mitglieder des Landtages gestellt werden. Der Beschluss auf Erhebung der Anklage erfordert bei Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages eine Zweidrittelmehrheit, die jedoch mehr als die Hälfte der Mitglieder betragen muss.
    (...)

    21.11.2008 - Teilerfolg für Abgeordnete des Sächsischen Landtages im Streit um die Regelung zum Aufwendungsersatz für die Beschäftigung von Mitarbeitern

    Mit Urteil vom heutigen Tage stellte der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen fest, dass der Sächsische Landtag die Antragstellerin mit dem Beschluss zur Neufassung des Sächsischen Abgeordnetengesetzes dadurch in ihren Statusrechten als Abgeordnete verletzt hat, dass nach der Neuregelung jede in einem für Mitarbeiter vorzulegenden Führungszeugnis enthaltene Eintragung wegen der vorsätzlichen Begehung einer Straftat den Aufwendungsersatz für deren Beschäftigung ausschließt. Die darüber hinausgehenden Anträge, insbesondere soweit diese gegen den Landtagspräsidenten gerichtet waren, wurden hingegen abgelehnt.


    Am 7. November 2007 beschloss der Landtag eine Änderung von § 6 Abs. 4 des Abgeordnetengesetzes (AbgG), wonach Abgeordneten ihre Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern nur dann ersetzt werden, wenn der Landtagsverwaltung ein Führungszeugnis des Mitarbeiters vorgelegt wird, das keine Eintragung wegen der vorsätzlichen Begehung einer Straftat enthält. Für einen der Mitarbeiter der Antragstellerin stellte die Landtagsverwaltung die Aufwendungsersatzzahlungen ein, da sich in dessen Führungszeugnis eine entsprechende Eintragung befand.
     
    Die Antragstellerin begehrte festzustellen, dass der Landtag sie mit der Neufassung der Aufwendungsersatzregelung und der Landtagspräsident sie mit dem Vollzug dieser Neuregelung in ihren Abgeordnetenrechten verletzt habe.
     
    Die Anträge hatten teilweise Erfolg. Im Hinblick auf den gegen den Landtag gerichteten Antrag stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass der Beschluss über die Neufassung von § 6 Abs. 4 AbgG die Antragstellerin in ihren verfassungsrechtlichen Statusrechten als Abgeordnete verletze. Art. 39 Abs. 3 Satz 2 SächsVerf enthalte einen allgemeinen Grundsatz der freien Mandatsausübung. Mit diesem sei eine Unterstützung durch Mitarbeiter nur vereinbar, wenn der Abgeordnete frei darüber befinden könne, ob und gegebenenfalls welcher Mitarbeiter er sich bediene. Beschränkungen dieser Freiheit seien nur zulässig, soweit sie dem Schutz berechtigter parlamentarischer Belange dienten und den Grundsätzen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit entsprächen.

    Die Neufassung von § 6 Abs. 4 AbgG lasse sich mit diesen Grundsätzen nicht vereinbaren. Von der Ausschlussregelung gehe ein finanzieller Zwang aus, der die Freiheit der Abgeordneten bei der Auswahl ihrer Mitarbeiter mindere. Zwar lägen der Neufassung legitime gesetzgeberische Ziele – nämlich die Sicherung des Parlamentsbetriebs und der Vertrauenswürdigkeit des Landtages – zugrunde; die Beschränkung des Entschädigungsanspruchs sei jedoch sachlich nicht geboten, soweit sie bei jedem Führungszeugniseintrag wegen vorsätzlicher Begehung einer Straftat den Aufwendungsersatz zwingend ausschließt. Dies sei zum Schutz der Integrität des Landtages sowie seiner Arbeitsfähigkeit weder erforderlich noch angemessen. Die Regelung erlaube nicht die gebotene einzelfallbezogene Würdigung des Gefährdungspotenzials und eine daran anknüpfende Abwägung mit der freien Mandatsausübung.

    Demgegenüber liege ein Verfassungsverstoß nicht bereits darin, dass der Aufwendungsersatz überhaupt von der Vorlage eines Führungszeugnisses abhängig gemacht werde. Die Einsichtnahme in das Führungszeugnis sei Voraussetzung dafür, dass die Landtagsverwaltung prüfen könne, ob ein Mitarbeiter sich strafbar gemacht habe und angesichts der von ihm verübten Straftat für eine Tätigkeit im Rahmen des parlamentarischen Betriebes untragbar erscheine.

    Die gegen den Landtagspräsidenten gerichteten Anträge verwarf der Verfassungsgerichtshof als unzulässig. Der Präsident werde beim Vollzug einfach-gesetzlicher Entschädigungsregelungen als Verwaltungsbehörde tätig. Er nehme keine ihm verfassungsrechtlich zugewiesenen Funktionen wahr, sodass der Rechtsweg zum Verfassungsgerichtshof im Organstreitverfahren nicht eröffnet sei.
     

    SächsVerfGH, Urteil vom 21. November 2008 – Vf. 95-I-08 (HS)/Vf. 96-I-08 (e.A.)

    20.11.2008 - Verfassungsbeschwerde der Betreiberin einer Spielhalle gegen das Sächsische Nichtraucherschutzgesetz erfolgreich

    Mit Beschluss vom heutigen Tage erklärte der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen das im Sächsischen Nichtraucherschutzgesetz geregelte allgemeine Rauchverbot auch insoweit für verfassungswidrig, als für Spielhallen die Möglichkeit ausgeschlossen ist, abgetrennte Nebenräume, in denen das Rauchen zugelassen ist, einzurichten.


    Am 1. Februar 2008 trat das Sächsische Nichtraucherschutzgesetz in Kraft. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 10 SächsNSG gilt das allgemeine Rauchverbot auch für Spielhallen. Ausnahmen hiervon, die § 3 Nr. 3 SächsNSG für abgetrennte Nebenräume von Gaststätten zulässt, sind für Spielhallen nicht vorgesehen. Die Betreiberin einer Spielhalle hatte hiergegen vorgebracht, ohne rechtfertigenden Grund gegenüber Gaststätten schlechter gestellt zu werden.
     
    Die Verfassungsbeschwerde hatte im Wesentlichen Erfolg. Wie bereits in seinen Beschlüssen vom 16. Oktober 2008 zu Ein-Raum-Gaststätten und Diskotheken ausgeführt, erkannte der Verfassungsgerichtshof zwar auch in diesem Verfahren an, dass das Rauchverbot im Ausgangspunkt von ausreichenden Gemeinwohlgründen getragen werde; die unterschiedliche Behandlung der Spielhallenbetreiber gegenüber den Betreibern von Gaststätten widerspreche aber dem allgemeinen Gleichheitssatz und genüge damit den Anforderungen des Art. 28 Abs. 1 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 SächsVerf nicht.

    Es fehlten hinreichende Differenzierungsgründe dafür, bei Spielhallen von dem im Hinblick auf Gaststätten gewählten ausgleichenden Nichtraucherschutzkonzept generell abzuweichen. Keinen Rechtfertigungsgrund hierfür bilde der Kinder- und Jugendschutz. Ein ausnahmsloses Rauchverbot sei unter diesem Gesichtspunkt bereits deswegen nicht veranlasst, weil diesem schutzwürdigen Personenkreis das Betreten von Spielhallen nach dem Jugendschutzgesetz ohnehin verboten sei. Mit dem Leistungsangebot von Spielhallen verbundene Anreizwirkungen und hiermit zusammenhängende Verhaltensweisen der Gäste stellten ebenfalls keinen hinreichenden Differenzierungsgrund dar. Bei der Regelung des Ausnahmekonzepts für Gaststätten habe es der Gesetzgeber hingenommen, dass durch die in abgetrennten Raucherräumen angebotenen Leistungen Anreize geschaffen werden, diese Bereiche zu betreten. Damit einhergehende Nachfolgeeffekte habe er nicht aufgegriffen, um die Einrichtung und Nutzung von Raucherräumen in Gaststätten zu beschränken. Diese Aspekte bei Spielhallen als maßgebende Gründe für ein ausnahmsloses Rauchverbot heranzuziehen, verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.
     
    Bis zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung, die der Sächsische Landtag innerhalb eines Zeitraumes bis zum 31. Dezember 2009 zu treffen hat, bleibt die angegriffene Regelung weiterhin anwendbar. Allerdings wurde für die Zwischenzeit angeordnet, dass das allgemeine Rauchverbot in abgetrennten Nebenräumen von Spielhallen nicht gilt, sofern diese als Räume gekennzeichnet sind, in denen das Rauchen zugelassen ist.

    SächsVerfGH, Beschluss vom 20. November 2008 – Vf. 63-IV-08 (HS)

    16.10.2008 - Verfassungsbeschwerden der Betreiber von Ein-Raum-Gaststätten und Diskotheken gegen das Sächsische Nichtraucherschutzgesetz erfolgreich

    Mit Beschlüssen vom heutigen Tage erklärte der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen das im Sächsischen Nichtraucherschutzgesetz für Gaststätten geregelte allgemeine Rauchverbot für mit dem Grundrecht der Betreiber kleiner Ein-Raum-Gaststätten auf Berufsfreiheit unvereinbar. Darüber hinaus verletze die Regelung auch die Betreiber von Diskotheken in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit sowie den allgemeinen Gleichheitssatz, soweit für Diskotheken, zu denen Jugendliche keinen Zutritt haben, die Möglichkeit ausgeschlossen sei, Raucherräume einzurichten.


    Am 1. Februar 2008 trat das Sächsische Nichtraucherschutzgesetz in Kraft. In § 2 SächsNSG werden die Einrichtungen aufgeführt, in denen ein allgemeines Rauchverbot gilt; hierunter fallen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 8 SächsNSG alle Gaststätten im Sinne des Gaststättengesetzes. Ausnahmen vom allgemeinen Rauchverbot lässt § 3 Nr. 3 SächsNSG für abgetrennte Nebenräume von Gaststätten zu, mit Ausnahme von Diskotheken.
     
    Mehrere Inhaber so genannter Ein-Raum-Gaststätten, denen die Einrichtung eines separaten Raucherraumes nicht möglich ist, hatten unter anderem einen Eingriff in ihr Grundrecht auf Berufsfreiheit geltend gemacht, da sie einem generellen Rauchverbot unterlägen, das ihre wirtschaftliche Existenz gefährde. Die Betreiber der Diskotheken hatten darüber hinaus gerügt, die für Diskotheken geltende „Ausnahme von der Ausnahme“ verstoße gegen den Gleichheitssatz, da kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegenüber anderen Gastronomen bestehe.

    Die Verfassungsbeschwerden hatten Erfolg. Zwar werde das Rauchverbot im Ausgangspunkt von ausreichenden Gemeinwohlgründen getragen. Der Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren – besonders bei Minderjährigen – gehöre zu den legitimen Aufgaben des Staates und lasse Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit zu. Auch habe sich der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für ein die wechselseitigen Belange ausgleichendes Schutzkonzept entschieden, mit dem er seine Ziele nicht unbedingt verfolge, sondern Ausnahmen hiervon zulasse. Dieses Konzept nehme auf kollidierende Interessen der Inhaber und Raucher Rücksicht und mildere den Eingriff in die Berufsfreiheit der Gastwirte dadurch ab, dass sie ihren Gästen in abgetrennten, besonders gekennzeichneten Nebenräumen das Rauchen gestatten dürften.
     
    Die angegriffene Regelung führe aber zu einer übermäßigen Belastung der Betreiber kleiner Ein-Raum-Gaststätten. Diese Betriebe unterschieden sich nicht nur durch eine geringe Zahl von Sitzplätzen sowie das vorwiegend an Getränken ausgerichtete Angebot von den übrigen Gaststätten, sondern auch durch die besondere Gästestruktur. Solche Gaststätten sprächen überwiegend Stammgäste an, unter denen sich eine vergleichsweise große Zahl von Rauchern befinde. Da die Betreiber aufgrund der begrenzten räumlichen Kapazitäten keine Raucherräume anbieten könnten, sei zu erwarten, dass sich die rauchenden Kunden von den kleineren Gaststätten abwendeten und größere Gaststätten mit Raucherräumen besuchten. Die gewählte gesetzgeberische Konzeption trage somit dazu bei, dass sich die wirtschaftliche Lage der Kleingastronomie weiter verschlechtere, indem sie größeren Gaststätten, in denen abgetrennte Raucherräume eingerichtet werden könnten, Vorteile im Wettbewerb um die Gäste verschaffe. Die damit verbundene Schlechterstellung der Ein-Raum-Gaststätten überschreite die Grenze des Zumutbaren.
     
    Darüber hinaus füge sich der Ausschluss der Diskotheken von der Möglichkeit, abgetrennte Raucherräume einzurichten, nicht in das vom Gesetzgeber entwickelte Regelungskonzept ein. Es fehlten hinreichende Rechtfertigungsgründe dafür, bei Diskotheken von dem gewählten ausgleichenden Nichtraucherschutzkonzept generell abzuweichen. Der Gesichtspunkt des Minderjährigenschutzes rechtfertige den Begünstigungsausschluss lediglich für diejenigen Diskotheken, bei denen Personen unter 18 Jahren Zutritt gewährt werde. Auch die gesteigerte Schutzpflicht gegenüber jungen Menschen über 18 Jahren und die Absicht, gruppendynamischen Prozessen entgegenzuwirken, rechtfertige die ungleich stärker belastende Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit von Diskothekenbetreibern nicht. Der Gesetzgeber habe schon mit der Zulassung von Raucherräumen in Gaststätten in Kauf genommen, dass sich dort auch Nichtraucher aufhielten. Damit seien Nachfolgeeffekte bei Erwachsenen akzeptiert worden, die nicht in gleichheitswidriger Weise bei Diskotheken unterbunden werden dürften. Den gruppendynamischen Prozessen könne auf weniger belastende Weise auch dadurch entgegengewirkt werden, dass die Attraktivität der Raucherräume verringert werde, indem dort keine Tanzmöglichkeiten angeboten werden dürften.

    Bis zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung, die der Landtag bis zum 31. Dezember 2009 zu treffen hat, bleiben die angegriffenen Regelungen weiterhin anwendbar. Zur Vermeidung erheblicher wirtschaftlicher Nachteile wurde jedoch angeordnet, dass in Ein-Raum-Gaststätten mit weniger als 75 qm Gastfläche und ohne abgetrennten Nebenraum, zu denen Personen mit nicht vollendetem 18. Lebensjahr keinen Zutritt erhalten, der Gaststättenbetreiber das Rauchen gestatten darf, wenn die Gaststätte am Eingangsbereich in deutlich sichtbarer Weise als Rauchergaststätte, zu der Personen mit nicht vollendetem 18. Lebensjahr keinen Zutritt haben, gekennzeichnet ist. Ferner wurde für die Zwischenzeit angeordnet, dass das absolute Rauchverbot nicht für solche Diskotheken gilt, zu denen Personen unter 18 Jahren keinen Zutritt haben. Dort ist es den Diskothekenbetreibern gestattet, einen abgetrennten, besonders gekennzeichneten Raum einzurichten, in dem jedoch keine Tanzmöglichkeiten angeboten werden dürfen.
     
    SächsVerfGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008 – Vf. 26-IV-08(HS), Vf. 28-IV-08(HS), Vf. 30-IV-08(HS), Vf. 34-IV-08(HS), Vf. 36-IV-08(HS), Vf. 42-IV-08(HS), Vf. 44-IV-08(HS)
    SächsVerfGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008 – Vf. 15-IV-08, Vf. 59-IV-08
    SächsVerfGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008 – Vf. 92-IV-08
     
     
     
    § 2 Allgemeines Rauchverbot
     
    (1) Das Rauchen ist in folgenden Einrichtungen untersagt:
    (...)
    (2) Soweit nicht von Absatz 1 erfasst, gilt das Rauchverbot auch in folgenden Einrichtungen:
    (...)
    8. Gaststätten im Sinne von § 1 des Gaststättengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. November 1998 (BGBl. I S. 3418), das zuletzt durch Artikel 149 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407, 2424) geändert worden ist, in der am 1. März 2007 geltenden Fassung, sowie Einrichtungen, die den Vorschriften des Gaststättengesetzes unterliegen;
    (...).
     

    § 3 Ausnahmen

    Das allgemeine Rauchverbot gilt nicht in
    (...)
    3. abgetrennten Nebenräumen von Gaststätten, sofern diese als Räume, in denen das Rauchen zugelassen ist, gekennzeichnet sind, mit Ausnahme von Diskotheken;
    (...).

    02.10.2008 - Mündliche Verhandlung über die Verletzung von Minderheitenrechten im Untersuchungsausschuss zur Korruptionsaffäre

    Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat in dem von fünf Mitgliedern des 2. Untersuchungsausschusses des Sächsischen Landtages gegen den Ausschuss eingeleiteten Organstreitverfahren Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Freitag, den 21. November 2008, 10.00 Uhr, Saal 115, Harkortstraße 9, Leipzig.


    Mit Landtagsbeschluss vom 19. Juli 2007 wurde der 2. Untersuchungsausschuss eingesetzt, um die Verantwortung der Staatsregierung für mögliche Mängel bei der Aufdeckung und Verfolgung krimineller und korruptiver Netzwerke zu klären. Im Oktober 2007 beschloss der Ausschuss die Vernehmung von sechs Zeugen zum Beweis eines organisierten Zusammenwirkens von Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Justiz. In der Folgezeit beantragten einzelne Ausschussmitglieder wiederholt, die beschlossene Beweiserhebung auf die Tagesordnung zu setzen. Diese Anträge wurden von der Ausschussmehrheit jeweils abgelehnt. Den Antrag von fünf Mitgliedern, zwei der Zeugen zur Sitzung im Mai 2008 zu laden, lehnte die Mehrheit am 17. April 2008 ebenfalls ab.
     
    Mit ihrer Organklage machen die Antragsteller eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung ihrer Minderheitenrechte geltend. Der in Art. 39 Abs. 3 SächsVerf verankerte und in Art. 54 Abs. 3 SächsVerf für Untersuchungsausschüsse ausgeformte Minderheitenschutz gebiete es, Beweise zu erheben, wenn ein Fünftel der Ausschussmitglieder dies beantrage. Für einmal gefasste Beweisbeschlüsse bedeute dies, dass sie vom Untersuchungsausschuss zu vollziehen seien. Anderenfalls hätte es die Ausschussmehrheit in der Hand, den von der Verfassung gewährleisteten Minderheitenschutz zu unterlaufen.
    Der Antragsgegner hält den Antrag für unzulässig, jedenfalls für unbegründet. Die Verfahrenshoheit im Untersuchungsausschuss liege bei der Ausschussmehrheit. Diese habe über die Reihenfolge der Beweiserhebung und über die Zweckmäßigkeit einer Terminierung zu ent-scheiden.
    Die Staatsregierung und der Sächsische Landtag haben keine Stellungnahme abgegeben.

    Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Vf. 99-I-08

    25.09.2008 - Antrag des Muldentalkreises gegen die Kreisgebietsreform zurückgewiesen

    Mit Urteil vom heutigen Tage hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen den zulässigen Antrag des Muldentalkreises auf kommunale Normenkontrolle gegen Regelungen des Sächsischen Kreisgebietsneugliederungsgesetzes vom 29. Januar 2008 als unbegründet zurückgewiesen.


    Nach dem Urteil der Verfassungsrichter werde der Antragsteller weder durch seine Auflösung und die Neubildung des Landkreises Leipzig noch durch die Entscheidung des Gesetzgebers, das Landratsamt in Borna zu errichten, in seinen Selbstverwaltungsrechten verletzt.
     
    Der Antragsteller könne sich nicht unter dem Gesichtspunkt der Mehrfachneugliederung auf einen besonderen  Vertrauensschutz berufen. Die erste Kreisgebietsreform in den Jahren 1993 bis 1996 habe der Gesetzgeber mit dem Ziel vorgenommen, funktionsfähige und den damaligen Verhältnissen entsprechende Selbstverwaltungsstrukturen zu schaffen. Zu diesem Zeitpunkt seien jedoch die Folgen des Umstrukturierungsprozesses nach der Wiedervereinigung noch nicht absehbar gewesen. Hiervon ausgehend habe er die Kreisgebiete bereits nach einem Zeitraum von zwölf Jahren auf der Basis der zwischenzeitlich entwickelten Landesplanung neu ordnen dürfen.

    Die Neuordnung diene dem Wohl der Allgemeinheit. Die Kontrolle des Verfassungsgerichtshofs hatte sich insoweit auf die Prüfung zu beschränken, ob bei der Aufstellung der für die Reform maßgeblichen Grundsätze und Leitlinien Gemeinwohlaspekte übersehen wurden, ob die Prognosen des Gesetzgebers eindeutig widerlegbar oder die Neugliederungsmaßnahmen offensichtlich ungeeignet sind, um das Reformziel zu verwirklichen. Hieran gemessen waren die den Antragsteller betreffenden Regelungen des Gesetzes nach Einschätzung des Verfassungsgerichtshofs verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Aus den herangezogenen Daten ergebe sich ein erheblicher demographischer Wandel im Freistaat Sachsen, der bis zum Jahr 2020 einen andauernden Bevölkerungsverlust und einen erheblichen Anstieg des Durchschnittsalters wahrscheinlich mache. Nachvollziehbar sei auch, dass sich die ohnehin bestehende Verschuldungssituation im Freistaat Sachsen durch den Abbau von Bundeszuweisungen verschärfen werde. Folgerichtig werde die Verschlechterung der Einnahmesituation auch auf kommunaler Ebene prognostiziert. Hiervon ausgehend ziele die Neuordnung der Kreisgebiete auf eine Steigerung der Effizienz öffentlichen Verwaltungshandelns sowie eine nachhaltige Erhöhung ihrer Wirtschaftlichkeit. Der Neuzuschnitt der Kreise sei auch nicht offensichtlich ungeeignet, um diese Reformziele zu erreichen. Der Gesetzgeber habe schließlich mit nachvollziehbarer Begründung sowohl die Beibehaltung der bestehenden Kreisgebiete als auch Kooperationsmodelle sowie die Bildung deutlich größerer Landkreise als Handlungsalternativen abgelehnt.

    Auch die Errichtung des Landratsamtes in Borna entspreche dem Wohl der Allgemeinheit. Die Entscheidung für Borna halte sich in dem von den Grundsätzen und Leitlinien vorgegebenen Rahmen und weise keine verfassungsrechtlich relevanten Abwägungsdefizite auf. Die für Grimma sprechenden Umstände der zentralen Lage, der langjährigen Tradition als Amts- und Verwaltungssitz sowie der größeren Wirtschaftskraft, habe der Gesetzgeber berücksichtigt. Gleichwohl habe er auf der Basis zentralörtlicher Gleichrangigkeit eine Entscheidung zwischen beiden Städten treffen können. Der im Rahmen der Abwägung als entscheidend herangezogene Gesichtspunkt der landesplanerischen Entwicklung im Südraum Leipzig als Bergbaufolgelandschaft sei ein sachgerechtes, an landesplanerische Zielsetzungen und das Leitbild der zentralörtlichen Stabilität anknüpfendes Kriterium. Im Übrigen sei die Stärkung strukturschwächerer Räume als ein legitimes Auswahlkriterium zwischen mehreren in Betracht kommenden Städten anerkannt.

    Da aus der Gesetzesbegründung mithin eine auf sachgerechten Erwägungen beruhende Entscheidung hervorgehe, bestünden verfassungsrechtliche Bedenken selbst dann nicht, wenn die Entscheidung für Borna auch das Ergebnis eines politischen Kompromisses zu dem Zweck gewesen wäre, eine parlamentarische Mehrheit für das Gesamtvorhaben zu gewinnen.
     

    Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen, Urteil vom 25. September 2008
    – Vf. 54-VIII-08

    25.09.2008 - Vorläufige Aussetzung des Rauchverbots in inhabergeführten Ein-Raum-Gaststätten verlängert

    Mit Beschluss vom gestrigen Tage wiederholte der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen die am 27. März 2008 erlassene einstweilige Anordnung in unveränderter Fassung für die Dauer von weiteren sechs Monaten, längstens bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden in der Hauptsache.


    Hiermit wurde § 2 Abs. 2 Nr. 8 des Sächsischen Nichtraucherschutzgesetzes weiterhin außer Anwendung gesetzt, soweit das Rauchverbot Ein-Raum-Gaststätten erfasst, in denen neben dem Inhaber keine weiteren Personen im laufenden Gastronomiebetrieb tätig sind und in deren Eingangsbereich deutlich sichtbar darauf hingewiesen wird, dass das Rauchverbot nicht gilt. Die bereits im Beschluss vom 27. März 2008 dargelegten Gründe rechtfertigten auch weiterhin die zugunsten der Antragsteller ausfallende Folgenabwägung.
     
    Der Verfassungsgerichtshof strebt eine Hauptsacheentscheidung noch in diesem Herbst an.
     

    Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen, Beschluss vom 25. September 2008 –
    Vf. 25-IV-08 (e.A.)/Vf. 27-IV-08 (e.A.)/Vf. 29-IV-08 (e.A.)/Vf. 31-IV-08 (e.A.)/Vf. 33-IV-08 (e.A.)/Vf. 35-IV-08 (e.A.)/Vf. 37-IV-08 (e.A.)/Vf. 43-IV-08 (e.A.)/Vf. 45-IV-08 (e.A.)

    29.08.2008 - Untersuchungsausschuss im Verfahren gegen die Staatsregierung um Aktenherausgabe erfolgreich

    Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat mit Urteil vom heutigen Tage festgestellt, dass die Sächsische Staatsregierung die verfassungsmäßigen Rechte des 2. Untersuchungsausschusses aus Art. 54 Abs. 4 SächsVerf durch ihre Weigerung, die angeforderten Akten herauszugeben, verletzt hat.


    Der mit Beschluss des Sächsischen Landtages vom 19. Juli 2007 eingesetzte Untersuchungsausschuss hatte aufgrund mehrerer Beweisbeschlüsse von verschiedenen Staatsministern und Behörden Akten angefordert, um eine gegebenenfalls bestehende Verantwortung von Mitgliedern der Staatsregierung für etwaige Mängel bei der Aufdeckung und Verfolgung krimineller und korruptiver Netzwerke zu prüfen. Diese Herausgabebegehren waren im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt worden, dass der Einsetzungsbeschluss verfassungswidrig und damit unwirksam sei.
     
    Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs wurde der Untersuchungsausschuss wirksam eingesetzt. Die parlamentarische Untersuchung liege im öffentlichen Interesse. Der Einsetzungsbeschluss werde den Geboten der Bestimmtheit und Begrenztheit gerecht. Den Fragenkatalogen lasse sich ein ausreichend konkretes Arbeitsprogramm entnehmen. Die Bezeichnung des Untersuchungsgegenstandes enthalte keine unzulässig vorweggenommenen Feststellungen oder Wertungen. Auch greife der Untersuchungsgegenstand nicht in unzulässiger Weise in den Bereich der Judikative ein.
     
    Allerdings verletzten Teile des Untersuchungsauftrages den nach dem Gewaltenteilungsprinzip geschützten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Die Kontrollkompetenz des Parlaments erstrecke sich allein auf bereits abgeschlossene Vorgänge. Einzelne Themenkreise des Untersuchungsauftrags hätten jedoch Maßnahmen der Staatsregierung zum Gegenstand, die von dieser erst in Reaktion auf die Berichterstattung in den Medien eingeleitet worden seien. Diese seien im Zeitpunkt der Einsetzung des Untersuchungsausschusses zum Großteil noch nicht abgeschlossen gewesen. Nichts anderes gelte für das Krisenmanagement und die Informationspolitik der Staatsregierung.
     
    Die übrigen Themenkreise des Untersuchungsauftrags ließen den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung hingegen unberührt. Soweit es dem Untersuchungsausschuss um in der Vergangenheit liegende mögliche Erscheinungsformen und Defizite bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität gehe, handele es sich um abgeschlossene Lebenssachverhalte, die einer parlamentarischen Untersuchung zugänglich seien.

    Die Verletzung des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung durch Teile des Untersuchungsauftrags führe nicht zur Verfassungswidrigkeit des Einsetzungsbeschlusses in seiner Gesamtheit. Dieser habe im Übrigen Bestand. Die verfassungswidrigen Themenkreise ließen sich vom verbleibenden Teil des Untersuchungsgegenstandes abtrennen. Sie setzten zeitlich erst nach Bekanntwerden der Vorwürfe in den Medien ein. Zudem liege das Schwergewicht der politischen Auseinandersetzung entsprechend der Bedeutung der Vorwürfe auf dem ersten Zeitabschnitt. Die Aufrechterhaltung des Einsetzungsbeschlusses, soweit er diesen Abschnitt betreffe, sei daher verfassungsrechtlich unbedenklich.

    Mit dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs steht fest, dass die Staatsregierung die Vorlage der angeforderten Akten jedenfalls nicht in ihrer Gesamtheit verweigern durfte. Ob und inwieweit einzelne Akten oder Aktenteile – etwa wegen des Bezugs zu einem nicht abgeschlossenen Vorgang – nicht der Herausgabepflicht unterliegen, hatte der Verfassungsgerichtshof angesichts der pauschalen Verweigerung der Staatsregierung nicht zu entscheiden.
     

    SächsVerfGH, Urteil vom 29. August 2008 – Vf. 154-I-07

    27.06.2008 - Städte Grimma und Aue im Verfahren gegen die Kreisgebietsreform erfolglos

    Mit Beschluss vom heutigen Tage verwarf der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen die Anträge der Städte Grimma und Aue als unzulässig, mit denen diese sich gegen die Bestimmung der Großen Kreisstädte Borna und Annaberg-Buchholz als Sitz der Landratsämter des neu zu bildenden Landkreises Leipzig und des Erzgebirgskreises gewandt hatten.


    Am 23. Januar 2008 verabschiedete der Sächsische Landtag das Sächsische Kreisgebietsneugliederungsgesetz, das in § 2 die Auflösung der bisherigen Landkreise und in § 3 u.a. die Neubildung des Landkreises Leipzig mit dem Sitz des Landratsamtes in Borna sowie des Erz-gebirgskreises mit dem Sitz des Landratsamtes in Annaberg-Buchholz vorsieht. Die Städte Grimma und Aue verlieren danach ihren bisherigen Kreissitz. Hierdurch sehen sie sich in ih-rem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 82 Abs. 2, Art. 84, 88 SächsVerf verletzt.
     
    Der Verfassungsgerichtshof verwarf die Anträge auf kommunale Normenkontrolle als unzulässig, da den Antragstellerinnen die notwendige Antragsbefugnis fehle.

    Das Normenkontrollverfahren setze den schlüssigen Vortrag der antragstellenden Gebietskörperschaft voraus, durch die angegriffene Regelung unmittelbar in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt zu sein. Eine solche Rechtsverletzung lasse sich nach dem Vorbringen der Antragstellerinnen ausschließen.

    Die Entscheidung des Gesetzgebers über den Sitz der Kreisverwaltung berühre – trotz ihrer Ortsbezogenheit – nicht die gemeindliche Organisationshoheit. Sie sei allein für Organisation und Aufbau des Landkreises maßgebend und spreche damit dessen Organisationsgewalt an.
     
    Ebenso wenig komme eine Beeinträchtigung der kommunalen Planungshoheit in Betracht. Mit dem Entzug des Sitzes der Kreisverwaltung werde weder das Instrumentarium gemeindlicher Planung eingeschränkt, noch die Realisierung einer eigenen Planung nachhaltig gestört. Aus der Verlegung des Landratsamtes möge sich zwar ein Rückgang der Nachfrage nach gemeindlichen Leistungen ergeben, der einen Bedarf zur Anpassung der Planungen begründe. Die mit dem Sitz der Kreisverwaltung verbundenen Chancen wirkten allerdings – wie zahlreiche andere Faktoren – lediglich faktisch auf den Inhalt kommunaler Planungen ein und schränkten daher das Recht auf kommunale Selbstverwaltung nicht in verfassungsrechtlich relevanter Weise ein.

    Der Verlust des Sitzes der Kreisverwaltung beeinträchtige auch keine andere Ausprägung des Selbstverwaltungsrechts. Zur Begründung der Antragsbefugnis reiche nicht aus, dass er vielfältige Auswirkungen im politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Gemeinde mit sich bringen und vor allem geeignet sein könne, deren Entwicklungsmöglichkeiten zu beeinflussen. Hierbei handele es sich lediglich um mittelbare Folgen, die einen bloßen Reflex der gesetzgeberischen Entscheidung bildeten. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerinnen in ihrer Existenz als funktionstüchtige Selbstverwaltungskörperschaften in Frage gestellt sein könnten, seien nicht ersichtlich.


    Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Vf. 78-VIII-08
    Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Vf. 67-VIII-08

    27.06.2008 - Mündliche Verhandlung über den Antrag des Muldentalkreises auf kommunale Normenkontrolle

    Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat in dem von dem Muldentalkreis eingeleiteten Verfahren auf kommunale Normenkontrolle Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Freitag, den 29. August 2008, 10.00 Uhr, Saal 115, Harkortstraße 9, Leipzig.


    Am 23. Januar 2008 verabschiedete der Sächsische Landtag das Sächsische Kreisgebietsneugliederungsgesetz, das in § 2 die Auflösung der bisherigen Landkreise und in § 3 u.a. die Neubildung des Landkreises Leipzig vorsieht, dem alle Gemeinden des bisherigen Landkreises Leipziger Land und des bisherigen Muldentalkreises angehören sollen. Als Sitz des Landratsamtes wird Borna bestimmt.
     
    Der Antragsteller sieht sich durch die Neuordnungsmaßnahme in seinem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 82 Abs. 2 SächsVerf verletzt und beantragt vor dem Verfassungsgerichtshof die Feststellung, dass seine Zusammenlegung mit dem Landkreis Leipziger Land zum Landkreis Leipzig nichtig sei. Diese entspreche nicht den aus Art. 88 Abs. 1 SächsVerf für Änderungen des Kreisgebietes abzuleitenden Anforderungen. Die Gebietsreform sei bereits formell verfassungswidrig und darüber hinaus sei die Zusammenlegung mit dem Landkreis Leipziger Land nicht geeignet, die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele zu erreichen. Weder erschließe die Reform langfristig Einsparpotentiale noch führe sie zu einer effektiveren Verwaltungsstruktur.

    Hilfsweise beantragt der Antragsteller festzustellen, dass die Errichtung des Landratsamtes im neu geschaffenen Landkreis Leipziger Land in der Großen Kreisstadt Borna mit der Verfassung unvereinbar sei. Diese gesetzgeberische Entscheidung sei nicht durch Gemeinwohlgründe im Sinne des Art. 88 Abs. 1 SächsVerf getragen, da sie nicht mit dem Grundsatz der Systemgerechtigkeit vereinbar sei und der Gesetzgeber keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Abwägung vorgenommen habe. Die Einrichtung des Kreissitzes in Borna stimme nicht mit den Leitlinien der Reform überein.
     
    Die Sächsische Staatsregierung, der Landkreis Leipziger Land und die Große Kreisstadt Borna sind den Anträgen des Muldentalkreises entgegengetreten. Seine Zusammenlegung mit dem Landkreis Leipziger Land sei aus Gründen des öffentlichen Wohls gerechtfertigt. Die Zuweisung des Kreissitzes an Borna halte sich im Rahmen des dem Gesetzgeber eröffneten Gestaltungsspielraums.
     

    Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Vf. 54-VIII-08

    06.06.2008 - Mündliche Verhandlung über den Antrag des Untersuchungsausschusses auf Aktenherausgabe

    Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat in dem von dem 2. Untersuchungsausschuss der 4. Wahlperiode des Sächsischen Landtages gegen die Sächsische Staatsregierung eingeleiteten Organstreitverfahren Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Freitag, den 11. Juli 2008, 10.00 Uhr, Saal 115, Harkortstraße 9, Leipzig.


    Im Mai 2007 begannen die Medien unter Berufung auf Erkenntnisse des Sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz über Korruption und kriminelle Beziehungsgeflechte im Bereich der Justiz, der Polizei und der Kommunalpolitik des Freistaates Sachsen zu berichten. Auf Antrag von Abgeordneten der Linksfraktion.PDS sowie der Fraktionen FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschloss der Landtag in seiner Sitzung vom 19. Juli 2007 die Einsetzung eines Ausschusses zur „Untersuchung der Verantwortung von Mitgliedern der Staatsregierung für etwaige schwerwiegende Mängel bei der Aufdeckung und Verfolgung krimineller und korruptiver Netzwerke unter Beteiligung von Vertretern aus Politik und Wirtschaft, von Richtern, Staatsanwälten und sonstigen Bediensteten der sächsischen Justiz, Polizei, von Landes- und kommunalen Behörden sowie für das Versagen rechtsstaatlicher Informations-, Kontroll- und Vorbeugungsmechanismen in Sachsen“.
     
    In der Folgezeit fasste der Untersuchungsausschuss mehrere Beweisbeschlüsse. Insbesondere forderte er Akten und Unterlagen vom Landesamt für Verfassungsschutz, der Staatskanzlei, den Staatsministerien des Innern und der Justiz sowie ihnen untergeordneten Behörden an. Diese Ersuchen lehnten die jeweiligen Ressortleiter u.a. unter Berufung darauf ab, dass der Einsetzungsbeschluss verfassungswidrig sei.
     
    Nach Auffassung des Untersuchungsausschusses verletzt ihn die Verweigerung der Aktenherausgabe in seinen verfassungsmäßigen Rechten aus Art. 54 SächsVerf.

    Die Staatsregierung erachtet den Antrag des Untersuchungsausschusses für unbegründet. Der Beschluss zu seiner Einsetzung verletze die Verfassung. Damit seien auch die Beweisbeschlüsse nichtig und brauchten nicht befolgt zu werden.
     

    Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Vf. 154-I-07

    23.04.2008 - Verfassungsgerichtshof sieht Sächsischen Landtag in Informationsrechten verletzt

    Das von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Sächsische Staatsregierung eingeleitete Organstreitverfahren endete für die Antragstellerin mit einem Teilerfolg. Mit Urteil vom heutigen Tage erkannte der Verfassungsgerichtshof für Recht, dass die Antragsgegnerin das Informationsrecht des Landtages verletzt habe, indem sie ihn nicht vollständig und rechtzeitig über die Vorschläge zu den Operationellen Programmen für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und den Europäischen Sozialfonds sowie für das Entwicklungsprogramm für den ländlichen Raum unterrichtet habe, bevor sie die erarbeiteten Programmvorschläge bei der Europäischen Kommission eingereicht habe.


    Der Freistaat Sachsen erhält – bezogen auf die europäische Förderperiode vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2013 – über verschiedene Struktur- und Landwirtschaftsfonds Finanzzuweisungen aus dem europäischen Gemeinschaftshaushalt. Um die gemeinschaftlichen Finanzmittel für konkrete Fördermaßnahmen und -projekte einsetzen zu können, bedarf es der Erarbeitung sächsischer Förderprogramme, die von der Europäischen Kommission angenommen werden müssen. Die jeweiligen Programmvorschläge wurden seit dem Jahr 2005 von den zuständigen Staatsministerien erarbeitet und Ende des Jahres 2006 bzw. Anfang des Jahres 2007 in Brüssel zur Einleitung des Annahmeverfahrens eingereicht.
     
    In einem Organstreitverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof begehrte die Antragstellerin die Feststellung, dass die Antragsgegnerin den Landtag im Zuge der Formulierung dieser Vorschläge in seinen parlamentarischen Mitwirkungsrechten, jedenfalls in seinen Informati-onsrechten verletzt habe. Der Antrag hatte teilweise Erfolg. Eine Verletzung von Mitwirkungs- und Beschlussfassungsrechten liegt nach dem heutigen Urteil des Verfassungsgerichtshofs nicht vor. Die Verfassung des Freistaates Sachsen begründe kein Recht des Land-tages, an der Europäischen Programmplanung bestimmend mitzuwirken. Insbesondere folge  ein solches Recht nicht aus der Budgethoheit des Landtages. Auch wenn nicht zu verkennen sei, dass aus den Programmen faktische Vorgaben für die nationale Etataufstellung resultierten, handele es sich bei der  Formulierung der Programmvorschläge um ein eigenständiges Planungsverfahren außerhalb der Haushaltsgesetzgebung. Eine Mitwirkung des Landtages sei weder geboten, um Vorwirkungen der Programmplanung zu kompensieren und das parlamentarische Budgetrecht zu sichern, noch sei sie mit dem verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung vereinbar. Die Erarbeitung der Programme unterfalle der Befugnis der Antragsgegnerin zur Leitung des Staates.
     
    Der Verfassungsgerichtshof stellte jedoch einen Verstoß gegen das parlamentarische Informationsrecht aus Art. 50 i.V.m. Art. 39 Abs. 2 Alt. 3 SächsVerf fest. Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, den Landtag über ihre Tätigkeit zu informieren, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sei. Aus der Funktion des Landtages als Stätte der politischen Willensbildung folge die Verpflichtung, das Parlament so umfassend und rechtzeitig über die Programmvorschläge zu informieren, dass es diesem möglich sei, hierzu noch vor  Übersendung  an die Europäische Kommission einen politischen Willen zu bilden und diesen gegenüber der Antragsgegnerin geltend zu machen. Hierbei bleibe es der Antragsgegnerin überlassen, ob sie den Landtag planungsbegleitend sukzessiv oder erst über die fertiggestellten Programmvorschläge unterrichtete. Dieser Informationspflicht sei die Antragsgegnerin nicht hinreichend nachgekommen. Weder habe eine ausreichende Abschlussunterrichtung stattgefunden, noch hätten die planungsbegleitenden Maßnahmen genügt, um die unterbliebene Abschlussunterrichtung gänzlich zu kompensieren. Eine Mitteilung der Grundzüge der Planung genüge hierfür nicht.

     
     
    Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Vf. 87-I-06

    22.04.2008 - Stadt Plauen im Verfahren gegen die Kreisgebietsreform erfolglos

    Mit Beschluss vom heutigen Tage verwarf der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen den gegen ihre Einkreisung gerichteten Antrag der Stadt Plauen als offensichtlich unbegründet. Damit erledigte sich ihr zeitgleich eingereichter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.


    Am 23. Januar 2008 verabschiedete der Sächsische Landtag das Kreisgebietsneugliederungsgesetz. In dessen § 2 Abs. 2 wird die Kreisfreiheit der Stadt Plauen aufgehoben. § 3 Nr. 9 des Gesetzes sieht die Neubildung des Vogtlandkreises unter Einkreisung der Antragstellerin vor.
     
    Die Antragstellerin begehrte vor dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen, das Kreisgebietsneugliederungsgesetz insoweit für nichtig zu erklären, als ihre Kreisfreiheit aufgehoben und sie mit den Gemeinden des bisherigen Kreisgebiets zum neu zu bildenden Vogtlandkreis vereint werde. Sie sieht sich in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 82 Abs. 2 SächsVerf verletzt. Der Verlust der Kreisfreiheit wirke sich sowohl auf ihre finanzielle Entwicklung als auch auf ihre demokratischen Mitwirkungsrechte negativ aus. Die gesetzgeberischen Ziele ließen sich auf schonendere Weise – nämlich durch Heranziehung des Kooperationsmodells „Vogtländischer Weg“ – erreichen. Dieses Modell sieht vor, dass die Stadt Plauen ihre Kreisfreiheit behält und mit dem Vogtlandkreis ihre Zusammenarbeit intensiviert.

    Der Verfassungsgerichtshof verwarf den zulässigen Antrag auf kommunale Normenkontrolle als offensichtlich unbegründet. Die angegriffenen Regelungen des Kreisgebietsneugliederungsgesetzes seien mit der Sächsischen Verfassung vereinbar.

    Zwar greife der Verlust der Kreisfreiheit in die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 82 Abs. 2 SächsVerf ein. Die Einschätzung des Landtages, wonach für die Neugliederung der Kreise im Freistaat Sachsen Gründe des öffentlichen Wohls stritten, sei verfassungsrechtlich jedoch nicht zu beanstanden.

    Die herangezogenen Daten zur Bevölkerungsentwicklung belegten einen erheblichen demografischen Wandel im Freistaat, der zu einem deutlichen Einwohnerrückgang führen werde. Es liege auf der Hand, dass diese Entwicklung auf die Nachfrage von Leistungen, auch jener der Behörden, erheblichen Einfluss hätte. Zurückgehende Einwohnerzahlen hätten ferner verringerte Einnahmen der öffentlichen Haushalte aus Abgaben und Finanzzuweisungen zur Folge. Es begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Gesetzgeber auf diese Entwicklungen mit der Gebietsreform reagiere. Der Landtag wolle leistungsfähige Landkreise und Kreisfreie Städte schaffen, die auf ihrem Gebiet zu einer eigenen Politik fähig seien und ihre vielfältigen öffentlichen Aufgaben zum Wohle ihrer Einwohner erfüllen könnten.

    Die Grundsätze und Leitlinien der Gebietsreform, vor allem die Größenvorgaben für die Landkreise und Kreisfreien Städte sowie die Ablehnung von Kooperationsmodellen, stünden mit den Vorgaben der Sächsischen Verfassung in Einklang. Die Bestimmung einer Regelmindestgröße unterliege einer wertenden Entscheidung des Gesetzgebers, die allein auf offensichtlich fehlerhafte Annahmen überprüft werden könne. Hierfür biete sich – bei der zugrunde gelegten Regelmindestgröße von 200.000 Einwohnern – kein Anhalt. Auch habe der Gesetzgeber Kooperationsmodelle als Handlungsalternative ausschließen dürfen. Seine Einschätzung, diese seien im Vergleich zu einer Gebietsreform insgesamt nicht besser oder gleich gut geeignet, beruhe weder auf einer Verkennung wesentlicher Faktoren noch auf einer offensichtlich fehlsamen Bewertung kooperativer Formen der Aufgabenerledigung. Kooperationsmodelle seien zumindest tendenziell mit einer unübersichtlicheren Verwaltungsstruktur und einer höheren Instabilität verbunden.

    Die Einkreisung der Antragstellerin als konkrete Neugliederungsmaßnahme stehe mit der Verfassung in Einklang. Die Gesetzesmaterialien belegten weder Defizite bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials noch ein offensichtlich fehlerhaftes Abwägungsergebnis. Der Gesetzgeber habe das Modell „Vogtländischer Weg“ verfassungsgemäß in die Entscheidung zur Einkreisung der Antragstellerin einbezogen. Er habe die Einkreisung der Antragstellerin vorziehen dürfen. Das Kooperationsmodell beruhe weder auf spezifischen örtlichen oder historischen Bedingungen, noch zeige es besondere Ausprägungen, die einer Übertragung auf andere Selbstverwaltungsträger entgegenstünden. Zwar könne die Antragstellerin auf einen im sachsenweiten Vergleich vergleichsweise geringen Personalschlüssel und auf eine niedrige Pro-Kopf-Verschuldung verweisen. Diese Umstände hätten aber ein Abweichen vom allgemeinen System nicht rechtfertigen – und erst recht nicht gebieten – können. Der Gesetzgeber habe ohne Verfassungsverstoß davon ausgehen dürfen, dass auch die Antragstellerin verstärkt mit den Folgen der demografischen Entwicklung konfrontiert sein werde und damit bei ihr ein Abweichen von den Grundsätzen und Leitlinien nicht veranlasst sei.

    Auf Grund dieser Entscheidung steht nunmehr fest, dass die Stadt Plauen zum 1. August 2008 den Status der Kreisfreiheit verlieren wird. Damit werden die im Gesetz für den 8. Juni 2008 vorgesehenen Kreiswahlen planmäßig durchgeführt.


    Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Vf. 19-VIII-08 (HS)/Vf. 20-VIII-08 (e.A.)

    27.03.2008 - Verfassungsgerichtshof setzt die Anwendung des Nichtraucherschutzgesetzes für inhabergeführte Ein-Raum-Gaststätten vorläufig aus

    Mit Beschluss vom heutigen Tage setzte der Verfassungsgerichtshof § 2 Abs. 2 Nr. 8 des Sächsischen Nichtraucherschutzgesetzes bis zur Entscheidung über die in der Hauptsache noch anhängigen Verfassungsbeschwerden außer Anwendung, soweit das Rauchverbot Ein-Raum-Gaststätten erfasst, in denen neben dem Inhaber keine weiteren Personen im laufenden Gastronomiebetrieb tätig sind und in deren Eingangsbereich deutlich sichtbar darauf hingewiesen wird, dass das Rauchverbot nicht gilt.


    Mit den im Februar 2008 eingegangenen Anträgen begehrten mehrere Inhaber von Ein-Raum-Gaststätten, das Rauchverbot im Wege des Erlasses einstweiliger Anordnungen vorläufig außer Anwendung zu setzen. Zur Begründung führten sie an, aufgrund der geringen Größe ihrer Gasträume sei die Einrichtung eines separaten Raucherraumes ausgeschlossen. Wegen der daher fehlenden Möglichkeit, in ihren Gasträumen das Rauchen zu gestatten, seien ihre rauchenden Stammgäste, die 75 bis 95% ihrer Gäste ausgemacht hätten, seit dem In-Kraft-Treten des Sächsischen Nichtraucherschutzgesetzes weitgehend ausgeblieben. Aufgrund des hiermit verbundenen Umsatzrückgangs von 20 bis 50%, vereinzelt bis 70%, seien sie in naher Zukunft nicht mehr in der Lage, die monatlichen Betriebsausgaben zu bedienen. Die Antragsteller sahen hierin einen Verstoß gegen ihre Berufsfreiheit (Art. 28 Abs. 1 SächsVerf) sowie gegen die Eigentumsgarantie (Art. 31 Abs. 1 Satz 1 SächsVerf). Ferner werde durch ihre Benachteiligung gegenüber Mehrraum-Gaststätten der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 18 Abs. 1 SächsVerf) verletzt.

    Die Anträge hatten Erfolg. Die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung allein maßgebende – vom Ausgang der Hauptsacheverfahren unabhängige – Folgenabwägung fiel zugunsten der Antragsteller aus. Die Aussetzung des allgemeinen Rauchverbots in inhabergeführten Ein-Raum-Gaststätten, in denen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten kein Raucherraum eingerichtet werden könnte, sei aus Gründen von besonderem Gewicht geboten. Erginge die einstweilige Anordnung nicht und hätten die Verfassungsbeschwerden in der Hauptsache später Erfolg, so könnten den Antragstellern schwere, nicht wieder gut zu machende Nachteile entstehen; denn bereits der Ausfall eines nicht unerheblichen Teils der Stammgäste könnte angesichts der unverändert bleibenden monatlichen Betriebsausgaben zu einer existenzgefährdenden Situation führen. Deren tatsächlichen Eintritt abzuwarten, hätte die Versagung effektiven Rechtsschutzes zur Folge. Demgegenüber käme den Nachteilen, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erginge und die Verfassungsbeschwerden später ohne Erfolg blieben, weniger Gewicht zu. Das gesetzgeberische Ziel, die Gesundheit vor Gefahren des Passivrauchens zu schützen und den Tabakkonsum bei Kindern und Jugendlichen zu verringern, könne zwar vorübergehend nicht erreicht werden. Die einstweilige Aussetzung des Rauchverbots beschränke sich aber auf Gaststätten, zu deren Kunden ohnehin kaum Kinder und Jugendliche zählten und die im Wesentlichen von Rauchern frequentiert würden. Nichtraucher könnten in der Übergangszeit aufgrund des anzubringenden Hinweises bewusst entscheiden, ob sie die Gaststätte aufsuchten.
     
    Die einstweilige Anordnung entfaltet Geltung für alle vom Entscheidungstenor erfassten Ein-Raum-Gaststätten.
     
    Mit der Entscheidung wurde keine Aussage über den voraussichtlichen Ausgang der Verfassungsbeschwerdeverfahren getroffen.
     

    Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen, Beschluss vom 27. März 2008 – Vf. 25-IV-08 (e.A.)/Vf. 27-IV-08 (e.A.)/Vf. 29-IV-08 (e.A.)/Vf. 31-IV-08 (e.A.)/Vf. 33-IV-08 (e.A.)/Vf. 35-IV-08 (e.A.)/Vf. 37-IV-08 (e.A.)/Vf. 43-IV-08 (e.A.)/Vf. 45-IV-08 (e.A.)
     
     
     
    § 2 Allgemeines Rauchverbot
     
    (1) Das Rauchen ist in folgenden Einrichtungen untersagt:
    (...)
    (2) Soweit nicht von Absatz 1 erfasst, gilt das Rauchverbot auch in folgenden Einrichtungen:
    (...)
    8. Gaststätten im Sinne von § 1 des Gaststättengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. November 1998 (BGBl. I S. 3418), das zuletzt durch Artikel 149 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407, 2424) geändert worden ist, in der am 1. März 2007 geltenden Fassung, sowie Einrichtungen, die den Vorschriften des Gaststättengesetzes unterliegen;
    (...)
     
    § 3 Ausnahmen

    Das allgemeine Rauchverbot gilt nicht in
    (...)
    3. abgetrennten Nebenräumen von Gaststätten, sofern diese als Räume, in denen das Rauchen zugelassen ist, gekennzeichnet sind, mit Ausnahme von Diskotheken;
    (...).

    11.01.2008 - Mündliche Verhandlung im Verfahren über die Verletzung von Mitwirkungs- und Informationsrechten des Sächsischen Landtages

    Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat in dem von der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN gegen die Sächsische Staatsregierung eingeleiteten Organstreitverfahren Termin zur mündlichen Verhandlung auf Freitag, den 29. Februar 2008, 10.00 Uhr, Saal 115, Harkortstraße 9, Leipzig, bestimmt.


    Der Freistaat Sachsen erhält – bezogen auf die Europäische Förderperiode vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2013 – über verschiedene Struktur- und Landwirtschaftsfonds Finanzzuweisungen aus dem Europäischen Gemeinschaftshaushalt. Grundlage hierfür bilden die von den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten zu erarbeitenden Operationellen Programme und Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum. Mit der Vorbereitung dieser Programme begannen die fachlich zuständigen Staatsministerien der Antragsgegnerin im Jahr 2005; Ende des Jahres 2006 und Anfang des Jahres 2007 veranlasste die Antragsgegnerin die Übersendung der Programmvorschläge an die Europäische Kommission.
     
    Die Antragstellerin begehrt unter anderem die Feststellung, dass die Antragsgegnerin den Landtag im Zuge der Formulierung dieser Vorschläge in seinen parlamentarischen Mitwirkungsrechten verletzt habe. Aus der in Art. 93 Abs. 2 Satz 1 Sächsische Verfassung verankerten Budgethoheit des Landtages folge dessen Recht, über die der Europäischen Kommission zu unterbreitenden Vorschläge Beschluss zu fassen. Insbesondere wegen der Begründung von Kofinanzierungspflichten, die im Ergebnis die Verplanung nahezu sämtlicher frei verfügbarer Haushaltsmittel zur Folge hätten, sei dem Landtag ein Mitentscheidungsrecht einzuräumen. Jedenfalls habe die Antragsgegnerin den Landtag in seinen Informationsrechten dadurch verletzt, dass sie ihn nicht fortlaufend – insbesondere nicht mit Blick auf das Gesetzgebungsverfahren zum Doppelhaushalt 2007/2008 – über den Stand der Planung für die Unterbreitung der Vorschläge unterrichtet habe.
     
    Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Vf. 87-I-06

    07.01.2008 - Untersuchungsausschuss ruft Verfassungsgerichtshof an

    Am 27. Dezember 2007 ist beim Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen ein Antrag des 2. Untersuchungsausschusses der 4. Wahlperiode des Sächsischen Landtags auf Einleitung eines Organstreitverfahrens eingegangen.


    Der Ausschuss, der sich seit Juli 2007 mit der Untersuchung krimineller und korruptiver Netzwerke in Sachsen beschäftigt, beantragt festzustellen, dass er durch die Weigerung der Staatsregierung, angeforderte Akten herauszugeben, in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt werde.
     
    Vor einer Entscheidung wird der Verfassungsgerichtshof der Staatsregierung Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
     

    Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Vf. 154-I-07

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